Abschiebungsverbot für einen jungen Mann aus Sierra Leone, weil er wegen Behinderungen infolge von Verletzungen nur eingeschränkt arbeitsfähig ist und ihm aufgrund der Tatsache, dass er in Guinea aufgewachsen ist, in Sierra Leone Sprachkenntnisse und soziale Beziehungen fehlen.
(Leitsätze der Redaktion)
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Bei Anwendung dieser Grundsätze ist bei derzeitiger Sachlage bei einer Rückkehr nach Sierra-Leone eine solche extreme Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen fehlender Versorgung mit Wohnung, Arbeitsmöglichkeiten für den Kläger in Sierra Leone zu erwarten.
Sierra Leone gehört zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. Die Arbeitslosenrate bewegt sich zwischen 65 und 70 %. Der Anteil der Bevölkerung mit einem Einkommen von weniger als 1,00 US-Dollar pro Tag liegt zwischen 60 und 70 %. Staatliche oder nichtstaatliche finanzielle Fördermöglichkeiten wie Sozial- oder Arbeitslosenhilfe existieren nicht. Erwerbslose, Kranke, Behinderte und ältere Menschen sind ganz besonders auf die Unterstützung der traditionellen Großfamilie angewiesen. Auch nichtstaatliche oder internationale Hilfsorganisationen bieten in der Regel keine konkreten Hilfen zum Lebensunterhalt. Der größte Teil der Bevölkerung kann mit Handel und Subsistenz-Landwirtschaft den eigenen Lebensunterhalt sichern, wobei zwei Drittel der werktätigen Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig sind.
Der Kläger hat in Sierra Leone keinerlei familiäre Bindungen mehr. Seine Mutter ist bereits bei der Geburt gestorben. Sein Vater kam ums Leben, als der Kläger drei Jahre alt war. Der Kläger wuchs dann bei seinem Onkel in Guinea auf. Auch der Onkel lebt nicht mehr. Der Sohn des Onkels ist ebenfalls nicht in Sierra Leone. Der Kläger hat keinerlei Verwandte in Sierra Leone. Er kann sich somit nicht auf ein familiäres Netz stützen, wenn er nach Sierra Leone zurückkehren müsste. Zudem ist der Kläger aufgrund der erlittenen Verletzungen nur sehr eingeschränkt arbeitsfähig. Auf einem Auge sieht er nicht mehr. Er hat nur noch ein funktionsfähiges Auge. Außerdem hat der Kläger auch eine schwere Beinverletzung erlitten, die ihm beim Arbeiten und Gehen behindert. Deshalb kann er auch in Deutschland keine schwere Arbeit mehr ausführen. Um in Sierra Leone Arbeit finden zu können, müsste der Kläger Beziehungen haben und seine Arbeitsfähigkeit dürfte nicht eingeschränkt sein. Es fehlen ihm auch die erforderlichen Sprachkenntnisse, um in Sierra Leone sofort Fuß fassen zu können. Auch verfügt der Kläger über keinerlei Vermögen in Sierra Leone, auf das er Zugriff hätte. Sollte der Kläger Erbansprüche auf frühere Besitztümer seines Vaters noch haben, könnte er diese sicherlich nicht sofort realisieren. Bei einer Rückkehr nach Sierra Leone wäre der Kläger vermögenslos und müsste ohne Familie dort Fuß fassen können. Es kann deshalb insgesamt trotz der Ausbildung als Kfz-Mechaniker nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger in Sierra Leone Arbeit finden könnte und die schwere Arbeit eines Kfz-Mechaniker bei den dortigen Verhältnissen ausüben könnte. Denn dort gibt es keine modernen Werkstätten, die einem das Arbeiten erleichtern könnten. Bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise muss deshalb insgesamt davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Sierra Leone ein Leben unter dem Existenzminimum führen müsste und verelenden würde.
Die Beklagte war deshalb unter teilweisen Aufhebung der Ziffer 4 des angefochtenen Bescheids zu dieser Feststellung zu verpflichten. [...]