VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 02.05.2019 - 7 B 564/19 - asyl.net: M27290
https://www.asyl.net/rsdb/M27290
Leitsatz:

Entscheidet das Beschwerdegericht vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist, darf das Gericht den Prüfungsumfang nicht auf die vom Beschwerdeführer vorgetragenen Gründe beschränken, sondern hat den angegriffenen Beschluss einer sog. Vollprüfung zu unterziehen. Dies gilt auch, wenn die Frist für die Begründung der Beschwerde nur deshalb noch nicht abgelaufen ist, weil die dem angegriffenen Beschluss beigefügte Rechtsmittelbelehrung unrichtig ist.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Ausweisung, Beschwerde, Rechtsmittelbelehrung, Begründungsfrist, Jahresfrist, Amtsermittlung,
Normen: VwGO § 146
Auszüge:

[...]

Der Senat ist vorliegend nicht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die Überprüfung der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts anhand des Beschwerdevorbringens beschränkt, sondern hatte den Beschluss einer sog. Vollprüfung zu unterziehen, da die Frist für die Einlegung der Beschwerde im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats mangels unrichtiger Rechtsmittelbelehrung noch nicht abgelaufen war.

Die dem angegriffenen erstinstanzlichen Beschluss beigefügte Rechtsmittelbelehrung war unrichtig, weshalb die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO für die Einlegung des Rechtsmittels gilt. Die Rechtsmittelbelehrung war unrichtig, da sie nicht der Vorschrift des § 146 Abs. 4 VwGO entspricht. Insbesondere ist der Hinweis unterblieben, wonach die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen ist. Der Hinweis auf die Beschwerdebegründungsfrist ist gemäß § 58 Abs. 1 VwGO zwingender Inhalt einer Rechtsbehelfsbelehrung zur Erhebung einer Beschwerde nach § 146 Abs. 4 VwGO. Zum notwendigen Inhalt einer Rechtsbehelfsbelehrung gehört nicht nur der Hinweis auf die einzuhaltende Rechtsmittelfrist, sondern auch auf die ggf. einzuhaltende Begründungsfrist. Da ein solches Rechtsmittel aus zwei Teilen besteht, ist auf die jeweilige Frist hinzuweisen (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. Januar 2012 - 13 B 1396/11 -, juris, Rdnr. 2 f. [m. w. Nachw.]).

Entscheidet das Beschwerdegericht vor Ablauf der Beschwerdefrist, die vorliegend aus den zuvor dargelegten Gründen ein Jahr beträgt, darf das Gericht den Prüfungsumfang nicht auf die vom Beschwerdeführer vorgetragenen Gründe beschränken, sondern hat den angegriffenen Beschluss einer sog. Vollprüfung zu unterziehen. Die Anforderungen an die Begründung der Beschwerde in § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO und die Beschränkung des Umfangs der Überprüfung auf die vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe in § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO sind auf das Ausschöpfen der Frist für die Beschwerde und für ihre Begründung zugeschnitten (vgl. Beschluss des Senats vom 25. April 2019 - 7 B 145/19 -, S. 4 der Beschlussabschrift; Hess. VGH, Beschluss vom 27. Juni 2017 - 8 B 1429/17 -, S. 3 der Beschlussabschrift).

Diese Frist, die hier ein Jahr beträgt, steht der Antragstellerin aufgrund der nunmehr getroffenen Entscheidung des Beschwerdegerichts über die Beschwerde nicht zur Verfügung. Ein Zuwarten mit der Entscheidung über die Beschwerde bis zum Ablauf der Jahresfrist war aufgrund der Eilbedürftigkeit des Verfahrens und zur Wahrung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2018 - 1 BvR 733/18 -, juris, Rdnr. 3 f.) untunlich. [...]