VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 04.03.2019 - 7 K 1139/17.WI.A - asyl.net: M27292
https://www.asyl.net/rsdb/M27292
Leitsatz:

Abgrenzung von subsidiärem Schutz und Abschiebungsverbot:

"1. Kein subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG bei humanitärer Notlage, die nicht zielgerichtet von einem Akteur hervorgerufen oder wesentlich verstärkt wurde.

2. Die Abgrenzung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfolgt danach, ob die humanitäre Notlage von einem Akteur zielgerichtet hervorgerufen oder wesentlich verstärkt wurde. Eine bloße Kausalität der Handlungen eines Akteurs für die humanitäre Notlage ist hingegen nicht ausreichend.

3. In Mogadischu ist derzeit nicht jede Zivilperson im Rahmen eines bewaffneten Konflikts gefährdet."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Somalia, Mogadischu, subsidiärer Schutz, extreme Gefahrenlage, failed state, Verfolgungsakteur, Abschiebungsverbot,
Normen: AsylG § 4, AufenthG § 60 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Die Gewährung subsidiären Schutzes auf der Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation in Somalia in Betracht. Zwar geht das Bundesamt in dem streitgegenständlichen Bescheid davon aus, dass der Klägerin in Somalia aufgrund der dortigen katastrophalen humanitären Bedingungen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK drohte. Das Gericht schließt sich dieser Einschätzung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht an. Gleichwohl begründet eine solche humanitäre Notlage, wie sie aktuell in Somalia festzustellen ist, lediglich einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, aber keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, denn es fehlt am Akteur i.S.d. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG, von dem die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der Klägerin ausgehen müsste (ausführlich zu dieser Problematik Broscheit/Gornik, ZAR 2018, 302).

Trotz der inhaltlichen Kongruenz des Terminus der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GR-Charta führt die Annahme, dass einem Ausländer in seinem Herkunftsstaat eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen würde, nicht automatisch zu einem Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Vielmehr verweist § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG unmissverständlich auch auf § 3c AsylG und die dort genannten Akteure. Unter Heranziehung der Modifikationen des § 3c AsylG, wie sie in § 4 Abs. 3 Satz 2 AsylG niedergelegt sind, muss die Gefahr eines ernsthaften Schadens, mithin auch eine drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure "ausgehen". Diese nationale Regelung stimmt mit den unionsrechtlichen Vorgaben überein, weil Art. 6 QRL ebenfalls voraussetzt, dass ein ernsthafter Schaden von einem der in der Norm genannten Akteure "ausgeht".

Sofern einige Stimmen auf dem Standpunkt stehen, dass die gesamte Rechtsprechung des EGMR auf die Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG zu übertragen sei, weshalb jede im Herkunftsstaat drohende Verletzung von Art. 3 EMRK zugleich einen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus begründen würde (so Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte [ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223], abrufbar unter asyl.net, dort S. 10 f.; Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 4 Rn. 32), folgt das Gericht dieser Einschätzung nicht (vgl. auch die Nachweise bei Broscheit/Gornik, ZAR 2018, 302, 304, Fn. 19). Der Wortlaut des § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG und der unionsrechtlichen Vorgabe in Art. 6 QRL ist derart eindeutig, dass die Normen keiner entgegenstehenden Auslegung zugänglich sind.

Im Übrigen hat auch der EuGH in seiner MBodj-Entscheidung vom 18.12.2014 zur inhaltsgleichen Vorgängerregelung zu Art. 15 lit. b) QRL, sc. Art. 15 lit. b) RL 2004/83/EG, festgestellt, dass die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von einem Akteur ausgehen muss (Urt. v. 18.12.2014 - Rs. C-542/13, NVwZ-RR 2015, 158, Rn. 34 ff.). [...]