VG Frankfurt a.M.

Merkliste
Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 26.11.2018 - 5 L 4508/18.F.A - asyl.net: M27296
https://www.asyl.net/rsdb/M27296
Leitsatz:

Verkürzter Rechtsweg bei Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet unionsrechtskonform:

1. Das Urteil des EuGH vom 19.06.2018 (C-181/16 Gnandi gg. Belgien - asyl.net: M26457, Asylmagazin 9/2018 mit Anmerkung) ist auf Fälle, die nach der neuen Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU zu beurteilen sind, nicht anwendbar, denn der Entscheidung liegt die Auslegung der alten Verfahrensrichtlinie 2005/85/EG zugrunde. Anders als die alte Richtlinie erlaubt es Art. 46 Abs. 6 RL 2013/32/EU ausdrücklich auch während des laufenden Verfahrens über den Verbleib der betroffenen Person im Fall einer Ablehnung als offensichtlich unbegründet zu entscheiden (unter Bezug auf VG Stade, Beschluss vom 30.07.2018 - 2 B 1616/18 - asyl.net: M26508).

2. Ungeachtet dessen muss die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine asylrechtliche Ablehnungsentscheidung nicht bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens bestehen. Das vorgesehene Eilverfahren, in dem auch die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet zum Gegenstand der Prüfung gemacht werden muss und die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet werden kann, ist unionsrechtskonform. Denn bei fristgemäßer Einlegung des Rechtsbehelfs werden bis zur Entscheidung des Gerichts alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung ausgesetzt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Rückkehrentscheidung, offensichtlich unbegründet, Gnandi, EuGH, Asylverfahren, Non-Refoulement, Refoulement, Abschiebungsandrohung, Rückführungsrichtlinie, Asylverfahrensrichtlinie, illegaler Aufenthalt, Abschiebung, Vorabentscheidungsverfahren, effektiver Rechtsschutz, Suspensiveffekt,
Normen: RL 2013/32/EU Art. 46 Abs. 6, RL 2013/32/EU Art. 32 Abs. 2, RL 2013/32/EU Art. 31 Abs. 8, VwGO § 80 Abs. 5, AsylG § 75, AsylG § 36 Abs. 3 S. 1, AsylG § 36 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

12 Ein Abänderungsgrund liegt auch im Falle einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung oder der Klärung einer umstrittenen Rechtsfrage vor (BVerfG, Beschluss vom 26. August 2004 - 1 BvR 1446/04, juris; VGH Mannheim, Beschluss vom 14. Februar 2007 - 13 S 2969/06, juris). Dies bedeutet jedoch, dass nach der Eilentscheidung im Aussetzungsverfahren eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage nunmehr höchstrichterlich "anders" beantwortet wird oder wenn der Europäische Gerichtshof seine Rechtsprechung "ändert".

13 Davon ist hier indes nicht auszugehen.

14 Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Juni 2018 - C-181/16 ist schon dem Grunde nach nicht auf den Fall des Antragstellers anwendbar und auch nicht übertragbar. Die Entscheidung betrifft die Auslegung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger und die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16, Rn. 1). Dagegen ist das Schutzgesuch des Antragstellers vom 30. August 2016 anhand der die Richtlinie 2005/85/EG ersetzenden Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung) zu beurteilen. Diese Richtlinie war aber nicht Gegenstand der Vorlagefrage (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16, Rn. 29) und damit nicht Gegenstand der Auslegung des Europäischen Gerichtshofs. Vor diesem Hintergrund kommt eine Übertragung der in der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aufgestellten Grundsätze auf den vorliegenden Fall nicht in Betracht (so auch VG Stade, Beschluss vom 30. Juli 2018 - 2 B 1616/18 - asyl.net: M26508; VG Münster, Beschluss vom 8. Oktober 2018 - 9 L 976/18, juris Rn. 8). Dies ist auch insoweit von Bedeutung, weil nunmehr Art. 46 Abs. 6 der Richtlinie 2013/32/EU vorgibt, dass im Fall einer Entscheidung, einen Antrag im Einklang mit Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie als offensichtlich unbegründet oder nach Prüfung gemäß Art. 31 Abs. 8 der Richtlinie als unbegründet zu betrachten, es sei denn, diese Entscheidungen sind auf die in Art. 31 Abs. 8 Buchst. h der Richtlinie aufgeführten Umstände gestützt, das Gericht befugt ist, entweder auf Antrag des Antragstellers oder von Amts wegen darüber zu entscheiden, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, wenn die Entscheidung zur Folge hat, das Recht des Antragstellers auf Verbleib in dem Mitgliedstaat zu beenden und wenn in diesen Fällen das Recht auf Verbleib in dem betreffenden Mitgliedstaat bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im nationalen Recht nicht vorgesehen ist. Damit kann im Falle einer Ablehnung des Schutzgesuchs als offensichtlich unbegründet über den weiteren Verbleib des Antragstellers im Mitgliedstaat auch während des laufenden Verfahrens entschieden werden, wenn das Recht auf Verbleib bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im nationalen Recht nicht vorgesehen ist (so auch VG Stade, Beschluss vom 30. Juli 2018 - 2 B 1616/18 - asyl.net: M26508 unter Bezugnahme auf VG Hannover, Beschluss vom 12. Juli 2018 - 10 B 4228/18). Das Schutzgesuch des Antragstellers ist vorliegend als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden.

15 Ungeachtet dessen, ist die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs entgegen dem Vorbringen des Antragstellers nicht dahingehend zu verstehen, dass die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine asylrechtliche Ablehnungsentscheidung während des gesamten gerichtlichen Verfahrens, mithin einschließlich des Hauptsacheverfahrens, bestehen muss. [...]

19 Gemessen an dieser EuGH-Entscheidung hat das Gericht keine Zweifel an der richtigen Auslegung des Unionsrechts und der Konformität des deutschen Rechtsschutzsystems. Das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren genügt den Anforderungen hinsichtlich Prüfungsmaßstab und (aufschiebender) Wirkung (vgl. Wittkopp, ZAR 2018, 325 (330)). Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag im Rahmen einer eigenen Ermessensentscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das bezüglich der Abschiebungsanordnung durch § 75 AsylG gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt. Richtet sich das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers - wie dies vorliegend der Fall ist - gegen eine Ablehnung seines Asylantrags als offensichtlich unbegründet, ist Gegenstand des gerichtlichen Eilverfahrens nach § 36 Abs. 3 Satz 1 Asylgesetz (AsylG) die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) ausgesprochene Abschiebungsandrohung. Die mit dieser Verwaltungsentscheidung beabsichtigte umgehende Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet stützt sich auf die Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet und ist deren Folge. Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes daher auch die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung oder auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht besteht, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen (BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516/93, juris). [...]

20 Mit dem Eilantrag wird dem Antragsteller "ein Rechtsbehelf" zur Verfügung gestellt, der bei fristgemäßer Einlegung seine Abschiebung bis zur Entscheidung des Gerichts verhindert und alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung aussetzt. Damit tritt kraft Gesetzes eine aufschiebende Wirkung ein. [...]