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VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Beschluss vom 24.04.2019 - A 9 K 875/19 - asyl.net: M27315
https://www.asyl.net/rsdb/M27315
Leitsatz:

Folgen der Rücknahme des Asylantrags während der Zuständigkeitsklärung im Dublin-Verfahren:

1. Nimmt der Asylantragsteller seinen Asylantrag (noch) während der Prüfung der Zuständigkeit des Bundes­amts für die Durchführung des Asylverfahrens gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1-4 AsylG zurück, ist das Bundesamt berechtigt, im Falle der Übernahmebereitschaft des ersuchten Mitgliedstaats (und der sonstigen rechtlichen wie tatsächlichen Möglichkeit der Rücküberstellung) eine auf § 34a Abs. 1 S. 1, 2 AsylG gestützte Abschiebungs­anordnung bzgl. des ersuchten Mitgliedstaats zu erlassen. Einer Einstellungsentscheidung nach § 32 AsylG mit der Folge einer Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG ist in einem solchen Falle ausgeschlossen. Dies ergibt sich aus dem Vorrang der Abschiebungsanordnung vor der Abschiebungsandrohung, § 34a Abs. 1 S. 4 AsylG.

2. Der Tenorierung der Unzulässigkeitsentscheidung (Ziff. 1 eines "normalen Dublin-Bescheids") bedarf es in einem solchen Falle nicht.

3. Ist die Abschiebung rechtlich unzulässig oder tatsächlich unmöglich und scheidet daher der Erlass einer Abschiebungsanordnung aus, spricht vieles dafür, dass dem Bundesamt ein Wahlrecht zusteht, ob es die in einem solchen Fall zu treffende Abschiebungsandrohung auf § 34a Abs. 1 S. 4 AsylG (mit dem ersuchten Mitgliedstaat als Zielstaat) oder auf § 34 Abs. 1 i.V.m. § 32 AsylG (mit dem Herkunftsstaat als Zielstaat) stützt.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Rücknahme, Rücknahme des Asylantrags, Abschiebungsanordnung, Abschiebungsandrohung, Italien,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 32, AsylG § 34, AsylG § 34a Abs. 1 S. 4,
Auszüge:

[...]

6 1. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - im Folgenden: Bundesamt -, wenn der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen dürften erfüllt sein, da Italien nach Maßgabe von Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) bzw. d) der Verordnung (EU) 604/2013 - Dublin III-VO - zur Wiederaufnahme des Antragstellers verpflichtet sein dürfte. Italien hat auch auf das gem. Art. 23 Abs. 1, 2 Dublin III-VO rechtzeitig gestellte (und auf einen Eurodac-Treffer gestützte) Übernahmeersuchen gemäß Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO reagiert und der Rücküberstellung des Antragstellers zugestimmt.

7 Unerheblich ist vorliegend, dass dem streitgegenständlichen Bescheid eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG oder Einstellungsentscheidung nach § 32 S. 1 AsylG fehlt. Ersteres dürfte berechtigterweise darauf zurückgeführt werden können, dass der Antragsteller mit Erklärung vom 21.01.2019 seinen Asylantrag zurückgenommen hat. Auch einer Einstellungsentscheidung gem. § 32 S. 1 AsylG bedurfte es voraussichtlich nicht. Diese ist ohnehin nur deklaratorisch, weil das Asylverfahren bereits durch die Rücknahmeerklärung konstitutiv beendet wurde (BVerwG, EZAR 631 Nr. 38; VG Düsseldorf, Urt. v. 16.5.2003, 1 K 3502/02.A; NK-AuslR/Susanne Schröder, 2. Aufl. 2016, AsylVfG § 32 Rn. 8-10; Renner, AuslR, 10. Aufl., § 32 AsylVfG Rn 6; Hailbronner, AuslR, B 2, § 32 Rn 22; kritisch GK-AsylVfG/Funke-Kaiser, § 32 Rn 28). Im Übrigen dürfte eine solche hier auch deshalb ausscheiden, weil sie von ihrer Rechtsfolge her zwingend mit einer Abschiebungsandrohung gem. § 34 Abs. 1 S. 1 AsylG verbunden ist (vgl. BeckOK AuslR/Heusch, 21. Ed. 1.2.2019, AsylG § 32 Rn. 29), wohingegen § 34a Abs. 1 AsylG die Abschiebungsanordnung zulässt – und dies gerade auch gem. dessen S. 2 Alt. 2 für einen Fall wie den vorliegenden (vgl. hierzu GK-AsylVfG/Funke-Kaiser, § 34a Rn. 11 f.). § 34a Abs. 1 S. 4 AsylG normiert des Weiteren den Vorrang der Abschiebungsanordnung vor der Abschiebungsandrohung (vgl. BeckOK AuslR/Pietzsch, 21. Ed. 1.8.2018, AsylG § 34a Rn. 20a). Das Bundesamt ist in Rezeption dessen auch im Falle der Asylantragsrücknahme im laufenden Asylverfahren (sogar bereits im Rahmen der "Vorprüfung" der Zuständigkeit nach dem Dublin-System) mithin berechtigt – wenn nicht gar verpflichtet –, die Zuständigkeitsprüfung nach Art. 23 ff. Dublin III-VO fortzusetzen und im Falle der Zuständigkeit eines anderen Dublin-Staats die Abschiebung dorthin anzuordnen. [...]