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VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.04.2019 - 12 S 1501/18 - asyl.net: M27317
https://www.asyl.net/rsdb/M27317
Leitsatz:

1. Ob ein Einbürgerungsbewerber die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 StAG altersbedingt erfüllen kann, wird nicht anhand einer strikten Alters(unter)grenze beurteilt. Das Lebensalter kann nur ein Indiz dafür sein, ob der Ausländer noch in der Lage ist, sich die erforderlichen Kenntnisse anzueignen, etwa dergestalt, dass vor dem Erreichen des 50. Lebensjahres regelmäßig ein altersbedingtes Unvermögen ausscheidet und ab Vollendung des Rentenalters es naheliegt und eine Einzelfallprüfung erfordert. In der erforderlichen Einzelfallprüfung sind alle für oder gegen eine ausreichende Lernfähigkeit sprechenden persönlichen Umstände in den Blick zu nehmen.

2. Im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung können sich die Behörden oder das Gericht bei Bedarf sachverständiger Hilfe bedienen, müssen dies aber nicht, wenn die konkreten Umstände keinen vernünftigen Zweifel daran lassen, dass altersbedingt von den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 StAG abzusehen ist (im Anschluss an OVG des Saarlandes, Urteil vom 12.02.2014 - 1 A 293/13 - juris Rn. 36 und 38).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Einbürgerung, Deutschkenntnisse, ältere Person, Ermessen, altersbedingt, Sprachkenntnisse,
Normen: StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 6, StAG § 10 Abs. 6,
Auszüge:

[...]

6 Die altersbedingten Ausschlussgründe, die selbständig neben den krankheitsbedingten Ausschlussgründen - "oder" - zu prüfen sind, knüpfen daran an, dass im Alter bei typisierender Betrachtungsweise die Fähigkeit schwindet, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, und es Personen gehobenen Alters auch nicht abverlangt werden soll, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Alters(unter)grenze wird dabei weder in der Rechtsprechung noch in der Kommentarliteratur gezogen, weil Fähigkeiten und - vor allem - abzuverlangende Bereitschaft zum Erwerb zusätzlicher (sprachlicher oder staatsbürgerlicher) Kenntnisse auch abhängen von soziokulturellen Merkmalen, wie insbesondere dem anderweitig erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe, dem Lebensstil, der die mentalen Alterungsprozesse beeinflusst, sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergeben (Berlit in GK-StAR, § 10 Rn. 406). Das Lebensalter kann nur ein Indiz dafür sein, ob der Ausländer noch in der Lage ist, sich die erforderlichen Kenntnisse anzueignen, etwa dergestalt, dass vor dem Erreichen des 50. Lebensjahres regelmäßig ein altersbedingtes Unvermögen ausscheidet und ab Vollendung des Rentenalters es naheliegt. Bei der erforderlichen Einzelfallprüfung sind alle für oder gegen eine ausreichende Lernfähigkeit sprechenden persönlichen Umstände in den Blick zu nehmen (vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 12.02.2014 - 1 A 293/13 - juris Rn. 38). Auch gelten ab einem bestimmten Alter Beweiserleichterungen, so dass von einem altersbedingten Unvermögen regelmäßig ausgegangen werden kann, wenn der Einbürgerungsbewerber im Zeitpunkt der Einbürgerung bereits das 65. Lebensjahr vollendet und sich zuvor nicht länger als 10 Jahre in Deutschland aufgehalten hat (siehe VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.07.2014 - 1 S 1167/14 - juris Rn. 5 unter Bezugnahme auf Nr. 10.6 der VwVStAG vom 08.07.2013 - GABl. 2013, 330; mittlerweile gültig in Form der 3. Fortschreibung vom 03.03.2017; vgl. aber auch Nr. 10.6 der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern - VAH-StAG - Stand 01.06.2015). Unerheblich ist dabei, ob der Einbürgerungsbewerber die geforderten Kenntnisse zu einem früheren Zeitpunkt hätte erwerben können oder er ihr Nichtvorhandensein anderweitig wegen Versäumnissen in der Vergangenheit zu vertreten hat (BVerwG, Urteil vom 05.06.2014 aaO juris Rn. 12; vgl. auch Berlit aaO § 10 Rn. 406.2 mwN). Im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung können sich die Behörden oder das Gericht bei Bedarf sachverständiger Hilfe bedienen, müssen dies aber nicht, wenn die konkreten Umstände keinen vernünftigen Zweifel daran lassen, dass altersbedingt von den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 StAG abzusehen ist (vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 12.02.2014 aaO Rn. 36). [...]