VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.04.2019 - A 12 S 2038/18 - asyl.net: M27328
https://www.asyl.net/rsdb/M27328
Leitsatz:

Begründungserfordernis bei Berufungszulassung wegen "grundsätzlicher Bedeutung":

"Hängt die Beantwortung einer als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Tatsachenfrage im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG (vorliegend: ob schiitische Religionszugehörige im Falle einer regionalen Gruppenverfolgung von Schiiten in der Region Quetta auf internen Schutz gemäß § 3e AsylG außerhalb ihrer Heimatregion in Pakistan verwiesen werden können) maßgeblich von der Feststellung bestimmter Tatsachen bzw. Vorfragen (hier: die Annahme einer regionalen Gruppenverfolgung von Schiiten in der Region Quetta) ab, die vom Verwaltungsgericht offen gelassen worden sind, muss der Antragsteller, um sich auf die Entscheidungserheblichkeit und damit auf die Klärungsbedürftigkeit der von ihm gestellten Tatsachenfrage berufen zu können, schlüssig behaupten und darlegen, dass die vom Verwaltungsgericht offen gelassene Tatsachenfrage in seinem Sinne positiv zu beantworten ist; in diesem Zusammenhang ist darzulegen, dass im Hinblick auf eine ordnungsgemäß beantragte Sachverhaltsaufklärung die offen gelassene Tatsachenfrage bzw. Vorfrage durch das Verwaltungsgericht weiter aufzuklären gewesen wäre (im Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 17.03.2000 - 8 B 287.99 - juris Rn. 9)."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, Pakistan, Schiiten, Regionale Gruppenverfolgung, interne Fluchtalternative, interner Schutz, Darlegungslast, Entscheidungserheblichkeit, Grundsätzliche Bedeutung, Sachaufklärungspflicht,
Normen: AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

Die als klärungsbedürftig bezeichnete Grundsatzfrage darf keine Voraussetzungen bzw. Elemente enthalten, die nach den tatsächlichen Feststellungen oder Bewertungen des Verwaltungsgerichts nicht vorliegen. Danach fehlt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts regelmäßig die Klärungsfähigkeit, wenn Tatsachen, die vorliegen müssten, damit sich die mit der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Frage in einem Rechtsmittelverfahren stellen könnte, nicht positiv festgestellt worden sind. Denn damit bliebe im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde offen, ob die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren überhaupt beantwortet werden kann. Die Klärungsfähigkeit dieser Frage muss für die Zulassung der Revision aber feststehen, denn die Revision kann nach deren Sinn und Zweck nicht dazu zugelassen werden, im Revisionsverfahren erst die Grundlage zu erarbeiten, auf der sich eine grundsätzlich bedeutsame und klärungsbedürftige Frage vielleicht stellen könnte (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 02.02.2011 - 6 B 37.10 - juris Rn. 11 und vom 17.03.2000 - 8 B 287.99 - juris Rn. 9). Von diesem Grundsatz ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann eine Ausnahme zu machen, wenn die in der Berufungsinstanz ordnungsgemäß beantragte Sachverhaltsaufklärung nur deswegen unterblieben ist, weil das Tatsachengericht die als rechtsgrundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage anders als der Beschwerdeführer beantwortet und deswegen die Beweisaufnahme als nicht entscheidungserheblich abgelehnt hat. In einem solchen Fall könnte nämlich der Beschwerdeführer auch nicht erfolgreich einen Verfahrensmangel wegen unterbliebener Sachverhaltsaufklärung geltend machen, weil es auch in diesem Zusammenhang allein auf die materielle Rechtsansicht des Tatsachengerichts ankommt, selbst wenn diese unzutreffend sein sollte (vgl. etwa Beschluss vom 17.03.2000 - 8 B 287.99 - juris Rn. 9).

Diese Grundsätze sind auf das Berufungszulassungsverfahren im Kern übertragbar. Da im Berufungsverfahren auch neue Tatsachen eingeführt werden können, kommt bei unbestrittenen, aus dem Akteninhalt feststellbaren Tatsachen eine Zulassung auch dann in Betracht, wenn das Verwaltungsgericht diese Tatsachen nicht positiv festgestellt hat (vgl. Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 601). Entsprechendes kann auch dann gelten, wenn das Verwaltungsgericht eine Tatsachenfrage offengelassen und in diesem Zusammenhang von der Feststellung bestimmter Tatsachen bewusst abgesehen hat, weil es von seinem mit der Grundsatzrüge angegriffenen Rechtsstandpunkt auf diese Tatsachen nicht angekommen ist. Bei dieser Konstellation kann die Grundsatzrüge aber nur dann durchgreifen, wenn die Antragsschrift schlüssig behauptet und darlegt, dass die vom Verwaltungsgericht offengelassene Tatsachenfrage in ihrem Sinne positiv zu beantworten ist. In diesem Zusammenhang ist darzulegen, dass im Hinblick auf eine ordnungsgemäß beantragte Sachverhaltsaufklärung durch das Verwaltungsgericht die offengelassene Tatsachenfrage bzw. Vorfrage weiter aufzuklären gewesen wäre, wenn das Verwaltungsgericht die Grundsatzfrage im Sinne der Antragsschrift entschieden hätte. Hätte danach der Antrag auf Zulassung der Berufung im Hinblick auf die vom Kläger zur Beurteilung gestellten Grundsatzfrage Erfolg, ist der Kläger im Zulassungsverfahren so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn das Verwaltungsgericht über die offen gelassene Tatsachenfrage (Vorfrage) entschieden hätte. [...]