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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 18.06.2019 - 2 BvR 1092/19 - asyl.net: M27356
https://www.asyl.net/rsdb/M27356
Leitsatz:

Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde gegen die Auslieferung eines Tschetschenen in die Russische Föderation:

1. Die Verfassungsbeschwerde ist kein statthafter Rechtsbehelf gegen eine Bewilligungsentscheidung des Auswärtigen Amtes im Auslieferungsverfahren, sofern diese nicht zulasten der Rechtsposition der betroffenen Person von der Zulässigkeitsentscheidung abweicht. Die dem auslieferungsrechtlichen Zulässigkeitsverfahren nachfolgende Bewilligungsentscheidung ist der (verfassungs-)gerichtlichen Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich.

2. Das Recht auf rechtliches Gehör findet dem eindeutigen Wortlaut des Art. 103 Abs. 1 GG zufolge nur "vor Gericht" Anwendung.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Auslieferung, Bewilligungsentscheidung, Verfassungsbeschwerde, Russische Föderation, Nordkaukasus, rechtliches Gehör, Unzulässigkeit, Auswärtiges Amt,
Normen: GG Art. 103 Abs. 1, GG Art. 19 Abs 4, IRG § 12
Auszüge:

[...]

2 1. Die Verfassungsbeschwerde stellt, soweit sie sich gegen die Bewilligung der Auslieferung richtet, im vorliegenden Fall im Ergebnis keinen statthaften Rechtsbehelf gegen die mit der Verbalnote des Auswärtigen Amts vom 15. Mai 2019 mitgeteilte Bewilligungsentscheidung dar.

3 a) Die dem auslieferungsrechtlichen Zulässigkeitsverfahren nachfolgende Bewilligungsentscheidung ist der (verfassungs-)gerichtlichen Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juni 2015 - 2 BvR 965/15 -, Rn. 21 m.w.N.). Dies wird der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich gerecht, weil der Rechtsschutz der betroffenen Person präventiv im der Bewilligungsentscheidung vorgeschalteten Zulässigkeitsverfahren gewährleistet wird. Das Ergebnis des Zulässigkeitsverfahrens determiniert gemäß § 12 IRG die Bewilligungsentscheidung dahingehend, dass eine Bewilligung, mit Ausnahme des Falls des vereinfachten Verfahrens nach § 41 IRG, nicht erfolgen darf, soweit die Auslieferung nicht zuvor für zulässig erklärt wurde (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juni 2015 - 2 BvR 965/15 -, Rn. 21 f.).

4 Einer isolierten (verfassungs-)gerichtlichen Überprüfung der Bewilligungsentscheidung bedarf es nur, wenn diese zulasten der Rechtsposition der betroffenen Person von der Zulässigkeitsentscheidung abweicht, weil in einem solchen Fall im Rahmen des präventiven Rechtsschutzes nicht alle ihre subjektiven öffentlichen Rechtspositionen berücksichtigt werden konnten und der von Art. 19 Abs. 4 GG gebotene Rechtsschutz nicht in hinreichendem Maße gewährt werden konnte (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juni 2015 - 2 BvR 965/15 -, Rn. 22, 24). [...]

7 c) Soweit der Beschwerdeführer überdies eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör geltend macht, weil die angegriffene Bewilligungsnote auf ein Schreiben der  Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 26. April 2019 und auf eine Verbalnote des Auswärtigen Amtes vom 20. März 2019 Bezug nimmt, die nicht Bestandteil der Verfahrensakte sind und die sich der Kenntnisnahme des Beschwerdeführers entziehen, verhilft auch dies der Verfassungsbeschwerde nicht zum Erfolg. Dies gilt, auch wenn das Bundesamt für Justiz keine Akteneinsicht gewährt hat, weil es sich um "Aktenbestandteile der Bundesregierung" handele.

8 Das Recht auf rechtliches Gehör findet dem eindeutigen Wortlaut des Art. 103 Abs. 1 GG zufolge nur "vor Gericht" Anwendung (vgl. BVerfGE 101, 397 <404>; 122, 190 <199>). Der Schutzbereich von Art. 103 Abs. 1 GG ist demnach jedenfalls im Bewilligungsverfahren nicht eröffnet. Allerdings könnte insoweit das Recht des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt sein. Denn um im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung (Rn. 3 f.) prüfen zu können, ob die Bewilligungsentscheidung über die Zulässigkeitsentscheidung hinausgeht, so dass isolierter Rechtsschutz gegen diese möglich ist, muss diese der betroffenen Person - jedenfalls auf ihren Antrag hin - mitgeteilt werden; auch der Inhalt der Entscheidung einschließlich der Dokumente, auf die Bezug genommen wird, müssen ihr grundsätzlich zur Kenntnis gelangen.

9 Unabhängig von der Frage, ob die insoweit erhobene Rüge des Beschwerdeführers bereits daran scheitert, dass er seinen Antrag auf Akteneinsicht in Dokumente aus dem Bewilligungsverfahren an die sachlich nur für das Zulässigkeitsverfahren zuständige Stelle, das Oberlandesgericht, adressiert hat, liegt hinsichtlich einer etwaigen Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG jedenfalls kein Annahmegrund im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG vor. Denn die Annahme der Verfassungsbeschwerde, der keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, ist diesbezüglich jedenfalls nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt, weil die Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG weder besonders gewichtig wäre, noch der Beschwerdeführer allein dadurch existenziell betroffen wäre (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). [...]