VG Arnsberg

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Zitieren als:
VG Arnsberg, Urteil vom 04.07.2019 - 5 K 5744/17.A - asyl.net: M27358
https://www.asyl.net/rsdb/M27358
Leitsatz:

Subsidiärer Schutz für einen Angehörigen eines Minderheitenclans aus Somalia:

In Zentral- und Südsomalia besteht ein innerstaatliche bewaffneter Konflikt. Bei Zugehörigen eines Minderheitenclans (hier: Ashraaf) liegen gefahrerhöhende Umstände vor, da sie sich nicht auf den Schutz eines mächtigen Clans berufen können und daher in besonderem Maß Gefahr laufen, Opfer der Al-Shabaab-Miliz zu werden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Somalia, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Al-Shabaab, Ashraaf, Minderheitsclan, nichtstaatliche Verfolgung, subsidiärer Schutz, Minderheitenclan, willkürliche Gewalt, Zentralsomalia, Südsomalia, Mogadischu,
Normen: AsylG § 4
Auszüge:

[...]

In Süd-.und Zentralsomalia. besteht ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG. [...]

Durch diesen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt wäre der Kläger auch individuell bedroht im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG. Eine Individualisierung der durch einen bewaffneten Konflikt drohenden Gefahr kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung zum einen aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben.[...]

Zu den gefahrerhöhenden persönlichen Umständen gehören in erster Linie solche, die den Ausländer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Ausländer als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O.). [...]

Vorliegend geht das Gericht davon aus, dass der Kläger in die Provinz Juba Hoose zurückkehren würde. Hier hat er seinen insoweit glaubhaften Angaben zufolge zuletzt gelebt.

Aus den dem Gericht vorliegenden oben referierten aktuellen Erkenntnismitteln ergibt sich, dass in Süd- und Zentralsomalia einschließlich der Hauptstadt Mogadischu (weiterhin) ein hohes Maß an willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung vorherrscht. Hiervon wäre der Kläger im Falle einer Rückkehr dorthin als Mitglied eines Minderheiten-Clans (hier: Ashraaf) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in besonderer Weise betroffen.

In diesem Zusammenhang ist für die Gefährdungseinschätzung zulasten von Mitgliedern von Minderheitenclans vor dem Hintergrund der allgemeinen Lage bedeutsam, dass in Süd- und Zentralsomalia an einer Vielzahl von Orten regelmäßig die Gebietshoheit zwischen den staatlichen Kräften und der ein Al-Shabaab-Miliz wechselt und es in diesen Fällen zu Attacken der Al-Shabaab-Miliz auf Zivilpersonen einschließlich Folter und Ermordung kommt. Aber selbst in den Bereichen und Städten, in denen eine Kontrolle der regierungstreuen Kräfte bzw. der AMISOM besteht, kann man von einer effektiven Kontrolle des Gebietes nicht sprechen (vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Somalia: Majority clans and minority groups in south and central Somalia, Juni 2017 unter Verweis auf dritte Quellen; EASO, Country of Origin Information Report - Somalia Security Situation, Dezember 2017; AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 7. März 2018 (Stand: Januar 2018); AI, Not Time to go Home, 31. Dezember 2017; AI, Einschätzung von Amnesty International zur Menschenrechtslage in Zentral- und Südsomalia vom 6. Februar 2017).

Dabei geht das Gericht davon aus, dass insbesondere Mitglieder von Minderheitenclans bei einer Rückkehr nach Somalia nur über ein besonders niedriges persönliches Schutzniveau verfügen. Dabei ist nicht die Tatsache, dass sich eine Person im Ausland aufgehalten hat, von besonderer Bedeutung. Wichtig ist vielmehr, ob ihr Clan in einem guten Verhältnis mit der Al-Shabaab-Miliz steht. Ist dies nicht der Fall, besteht ein persönliches Risiko für den Betreffenden (vgl. DIS, South and Central Somalia, Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups, März 2017).

Da darüber hinaus die sich aktuell verschärfende Dürrekrise die Lebenschancen weiter vermindert (vgl. UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2018 Somalia, November 2017), ist in einer Gesamtschau mit den dem Kläger aufgrund seiner Clanzugehörigkeit drohenden Umständen der Rückschluss auf eine ernsthafte individuelle Bedrohung erlaubt (vgl. A.A. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (VGH), Urteil vom 17. Juli 2018 - 20 B 17.31659 - (juris) für den Clan der Sheikhaal sowie Niedersächsische OVG, Urteil vom 5. Dezember 2017 - 4 LB 51/16 - (juris) für den Clan der Ashraaf).

Ausgehend von dem Vorstehenden erscheint es nach Auffassung des Gerichts beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Somalia in besonderer Weise der Gefahr ausgesetzt wäre, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. Dies beruht auf dem dort allgemein herrschenden besonders hohen Maß an willkürlicher Gewalt und der Zugehörigkeit des Klägers zu dem Minderheiten-Clan der Ashraaf. Der Kläger kann sich nach seinen insoweit glaubhaften Ausführungen in der mündlichen Verhandlung nicht auf den Schutz eines mächtigen Clans berufen. Damit wäre er potentiellen Übergriffen schutzlos ausgeliefert. Davon abgesehen hat der Kläger bereits beim Bundesamt und auch in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass er wegen der Nichtentrichtung einer "Saka" an die Kämpfer in Konflikt mit der Al-Shabaab-Miliz geraten ist, wenn auch nicht ganz klar wird, in welchem Umfang ihm bei seiner Ausreise aufgrund dessen aktuell noch eine Gefahr gedroht hat. [...]