VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Beschluss vom 10.05.2019 - 8 L 860/18 - asyl.net: M27379
https://www.asyl.net/rsdb/M27379
Leitsatz:

Kein Abschiebungsschutz für suizidgefährdete, psychisch kranke Person aus Afghanistan:

1. Die Abschiebung einer psychisch kranken Person nach Afghanistan ist auch bei Suizidgefahr möglich, wenn eine ärztliche Begleitung während der Abschiebung und die Übergabe an einen Arzt in Afghanistan sichergestellt und ein Vorrat an Medikamenten mitgegeben wird.

2. Diese Maßgabe ist in den Entscheidungstenor mit aufzunehmen.

(Leitsätze der Redaktion; vgl. hierzu das asylrechtliche Eilverfahren im selben Fall, in dem der o. g. Entscheidung ausdrücklich widersprochen wurde: VG Potsdam, Beschluss vom 11.06.2019 - VG 7 L 436/19.A - asyl.net: M27694)

Schlagwörter: Afghanistan, Abschiebung, psychische Erkrankung, begleitete Abschiebung, Arzt, Mitgabe von Medikamenten, Medikamente, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Suizidgefahr, Duldung, Abschiebung, Tenor,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7,
Auszüge:

[...]

7 1. Dabei ergibt sich eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung zunächst nicht aus einem Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG. [...]

8 2. Eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG folgt auch nicht aus den Grundrechten des Antragstellers auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Zwar ist auf Basis des ärztlichen Attestes der Psychiatrischen Universitätsklinik der vom ... 2018 vom Bestehen einer Suizidgefahr im Falle der Abschiebung des Antragstellers auszugehen (hierzu unten a). Allerdings begründet dieses Risiko unter Berücksichtigung der im Tenor dem Antragsgegner aufgegeben Schutzmaßnahmen kein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis (hierzu unten b). [...]

12 Dass der Antragsteller unter einer Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik sowie depressiven Episoden (jeweils mittelschwer bis schwer ausgeprägt) leidet, hält die Kammer auf dieser Basis für überwiegend wahrscheinlich. Ferner ist eine latente, medikamentös therapierbare Suizidalität ebenso zur Überzeugung der Kammer glaubhaft gemacht wie ein hohes Risiko von Suizidhandlungen im Falle der Abschiebung.

13 b) Allerdings begründet die Annahme einer Suizidgefahr nicht zwangsläufig ein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis; dies ist dann nicht der Fall, wenn die Abschiebung von der Ausländerbehörde, der insoweit eine Garantenstellung zukommt, so gestaltet wird, dass der Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. April 2014 - OVG 6 S 21.14 -, n. v., BA S. 3 f.; OVG Schleswig, Beschluss vom 26. März 2018, a. a. O., Rn. 5; VGH München, Beschluss vom 5. Juli 2017 - 19 CE 17.657 -, juris, Rn. 29; OVG Bautzen, Beschluss vom 21. Januar 2014 - 3 B 476/13 -, juris, Rn. 8; OVG Saarlouis, Beschluss vom 14. September 2010 - 2 B 210/10 -, juris, Rn. 19).

14 Die erforderlichen Schutzmaßnahmen bestehen in der Überprüfung der Reisefähigkeit des Ausländers unmittelbar vor der Abschiebung, durchgehender ärztlicher Begleitung während der Abschiebung, die im gesetzlichen Regelfall der unangekündigten Durchführung mit dem Abholen in der Wohnung beginnt, und Inempfangnahme des Selbstmordgefährdeten durch einen Arzt im Abschiebezielstaat, der über weitere Maßnahmen entscheidet und sie veranlasst (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. April 2014, a.a.O., BA S. 4; OVG Saarlouis, Beschluss vom 14. September 2010, a.a.O., Rn. 19). Zudem ist die Ausländerbehörde nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von Amts wegen verpflichtet, den Gesundheitszustand des Betroffenen in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten und die notwendigen Vorkehrungen zu treffen (BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1998, - 2 BvR 185/98 -, juris, Rn. 4; BVerfG, Beschluss vom 16. April 2002 - 2 BvR 553/02 -, juris, Rn. 3). Durch diese Schutzmaßnahmen kann eine ernsthafte Selbstgefährdung des Antragstellers bei seiner Abschiebung wirksam ausgeschlossen werden.

15 Dass er Sicherungsvorkehrungen im Falle der Abschiebung des Antragstellers vornehmen wird, hat der Antragsgegner bereits angekündigt. Im Hinblick auf die das Vorliegen einer psychischen Erkrankung noch ablehnende Antragserwiderung sowie auch zur Konkretisierung der erforderlichen Schutzmaßnahmen hält es die Kammer für erforderlich, diese in Form von Maßgaben an den Antragsgegner in den Tenor der Entscheidung aufzunehmen. [...]