VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Beschluss vom 16.05.2019 - 1 L 1161/19.KS - asyl.net: M27409
https://www.asyl.net/rsdb/M27409
Leitsatz:

Behördliche Aussetzung der Vollziehung:

"1. Ein sachlich tragfähiger, willkürfreier und nicht missbräuchlicher Anlass für die behördliche Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung kann auch darin liegen, dass das Bundesamt eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren herbeiführen will.

2. Im Fall der Aussetzung der Vollziehung durch die Behörde fehlt einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO das Rechtsschutzbedürfnis.

3. Zur Kostenentscheidung, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung trotz Aussetzung der Vollziehung den Hinweis auf den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO enthält."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Rechtsmittelbelehrung, Aussetzung der Vollziehung, Abschiebungsandrohung, internationaler Schutz in EU-Staat, Abschiebungsverbot, gerichtliche Entscheidung, gerichtliche Klärung, Hauptsacheverfahren, Italien, besonders schutzbedürftig, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,
Normen: VwGO § 80 Abs. 4, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

Ein sachlich tragfähiger, willkürfreier und nicht missbräuchlicher Anlass kann auch darin liegen, dass das Bundesamt eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren herbeiführen will. Sieht das Bundesamt im Fall der Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG Anhaltspunkte für Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG, kann es eine gerichtliche Hauptsacheentscheidung nur herbeiführen, wenn es die Abschiebungsverbote nicht feststellt. Dann jedoch läuft es Gefahr, wegen § 36 Abs. 3, § 37 Abs. 1 AsylG im Fall einer positiven gerichtlichen Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in der Sache selbst, also bezüglich des Herkunftslandes entscheiden zu müssen, ohne eine Klärung über die zugrundeliegende Frage eines Abschiebungsverbotes für den Mitgliedstaat der Europäischen Union (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) herbeiführen zu können.

Anhaltspunkte für ein derartiges Interesse an einer gerichtlichen Klärung lassen sich der Behördenakte entnehmen. Denn im Verwaltungsverfahren bestanden behördenintern unterschiedliche Auffassungen über das Vorliegen von Abschiebungsverboten (vgl. Vermerk des Entscheiders vom 11. Dezember 2018, Bl. 174f. d. BA, sowie die Reaktion des Grundsatzreferats vom 25. April 2019, Bl. 177 d. BA). [...]

2) Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 4 VwGO. Die Kosten dieses Antrages sind entstanden, weil die Antragsgegnerin ihrem Bescheid eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung beigefügt hat (vgl. auch Vermerk vom 10. Mai 2019, Bl. 233 d. BA).

Die Antragstellerin sah sich widersprüchlichen Aussagen ausgesetzt: Zum einen enthielt der Tenor des Bescheides die Aussetzung der Vollziehung, die Gründe verwiesen darauf, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht statthaft sei. Zum anderen aber ließ die Rechtsbehelfsbelehrung den Schluss zu, dass die Antragsgegnerin gleichwohl von der Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung ausgehen musste. Jedenfalls aber wurde sie deutlich darauf hingewiesen, dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt werden "kann" (Bl. 198 d. BA). Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der kurzen Frist des § 36 Abs. 3 AsylG war es der Antragstellerin nicht zuzumuten, zunächst etwa durch eine Anfrage bei der Behörde den Sachverhalt zu klären und damit möglicherweise auf eigene Rechte zu verzichten.

Da die Antragsgegnerin zumindest den Rechtsschein gesetzt hat, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig wäre, sind ihr die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. [...]