VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 28.12.2018 - 10 ZB 18.1154 - asyl.net: M27436
https://www.asyl.net/rsdb/M27436
Leitsatz:

Ablehnung des Antrags auf Berufungszulassung: Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen zu Recht abgelehnt, da wegen der Einreise mit einem aufgrund falscher Angaben erlangten französischen Schengen-Visum und der Nichtvorlage des Passes im Asylverfahren ein Ausweisungsinteresse besteht.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, Ausweisungsinteresse, mittelbare Falschbeurkundung, Passvorlage, Generalpräventiver Zweck, falsche Angaben im Visumsverfahren, Mitwirkungspflicht, Verletzung der Mitwirkungspflicht, Pflicht zur Passvorlage,
Normen: AufenthG § 48 Abs. 1 Nr. 1, AufenthG § 98 Abs. 2 Nr. 3, AufenthG 95 Abs. 2 Nr. 2, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 53 Abs. 1, AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, AufenthG § 10 Abs. 3,
Auszüge:

[...]

7 [...] Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris) können auch generalpräventive Gründe ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG begründen. § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt nämlich nicht, dass von dem ordnungsrechtlich auffälligen Ausländer selbst eine Gefahr ausgehen muss. Vielmehr muss dessen weiterer "Aufenthalt" eine Gefährdung bewirken. Vom Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann aber auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn von ihm selbst keine (Wiederholungs-) Gefahr mehr ausgeht, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris -Ls- und Rn. 16 m.w.N.).

8 Ein generalpräventives Ausweisungsinteresse muss zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt noch aktuell sein (BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris -Ls- und Rn. 22). Das ist nicht der Fall, wenn es durch Zeitablauf so sehr an Bedeutung verloren hat, dass es bei der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht mehr herangezogen werden kann. Für Ausweisungsinteressen, die an strafbares Verhalten anknüpfen, bieten die strafrechtlichen Verjährungsfristen der §§ 78 ff. StGB einen geeigneten Rahmen zur Konkretisierung. Bei abgeurteilten Straftaten stellen die Fristen für ein Verwertungsverbot nach § 51 BZRG in jedem Fall die Obergrenze dar (BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 23).

9 Gemessen hieran war das (auch) generalpräventiv auf die Falschangaben der Klägerin gestützte Ausweisungsinteresse noch aktuell. Vorliegend wird nach der insoweit in Betracht zu ziehenden Vorschrift des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen oder das Erlöschen oder die nachträgliche Beschränkung des Aufenthaltstitels oder der Duldung abzuwenden oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht. Auch wenn hinsichtlich der falschen Angaben, die die Klägerin unstreitig im Ausland im Rahmen des Visumverfahrens gemacht hat, deutsches Strafrecht nicht anwendbar ist (vgl. OLG Köln, B.v. 27.4.1999 - Ss 118/99 - juris Rn. 12 ff.; Fahlbusch in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 95 AufenthG Rn. 224; Hohoff, BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.11.2018, § 95 AufenthG Rn. 97 m.w.N.), stellt die Vorschrift auch den Gebrauch der so beschafften Urkunde unter Strafe. Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre, weil die Tat mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bedroht ist (vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Die Verjährungsfrist beginnt mit Beendigung der Tat, so dass selbst wenn insofern auf den (frühest möglichen) Zeitpunkt der Falschangaben im Rahmen des Visumverfahrens abgestellt werden würde, die einfache Verjährungsfrist bis heute noch nicht abgelaufen wäre. Ein weiterer Anhaltspunkt für ein gegenwärtiges Ausweisungsinteresses aus generalpräventiven Gründen ist in dem bußbeldbewehrten Verstoß der Klägerin gegen die Vorlage- und Aushändigungspflicht nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 98 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG zu erblicken. Die Klägerin wurde bereits bei der Asylantragstellung vom Bundesamt in den "Wichtigen Hinweisen für Asylbewerber" aufgefordert, ihren Pass oder sonstige Ausweispapiere vorzulegen (Behördenakte Bl. 91). Dieser Aufforderung kam sie ausweislich der Passeinbehaltungsbestätigung des Beklagten (Behördenakte Bl. 29) erst am 23. August 2016 und somit erst knapp zwei Jahre nach Asylantragstellung nach. Obwohl insofern die zweijährige Verfolgungsverjährung nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 OWiG mittlerweile abgelaufen sein dürfte, bestehen in der Gesamtschau insbesondere im Hinblick auf das hohe öffentliche Interesse an der Verhinderung von Falschangaben im Visumverfahren sowie von Verstößen gegen die Vorlage- und Aushändigungspflichten in asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Verfahren (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 10.12.2018 - 10 ZB 16.1511 - BA Rn. 15, 19) keine durchgreifenden Zweifel an der Aktualität des Ausweisungsinteresses. Unabhängig davon ist auch mit Blick auf die vom Erstgericht angestellten spezialpräventiven Erwägungen von einem gegenwärtigen Ausweisungsinteresse auszugehen. [...]