VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Beschluss vom 16.11.2018 - 4 B 328/18 - asyl.net: M27437
https://www.asyl.net/rsdb/M27437
Leitsatz:

Duldungsanspruch des Vaters eines deutschen Kindes nach Vaterschaftsanerkennung:

"1. Art. 20 Satz 2 EGBGB ermöglicht den scheidungsakzessorischen Statuswechsel nach § 1599 Abs. 2 BGB im Fall einer nach türkischem Recht begründeten Vaterschaft, auch wenn das Kind nach Rechtskraft des türkischen Scheidungsurteils geboren wurde.

2. Die Beurkundung einer Vaterschaftsanerkennung ist nicht unwirksam, wenn die beurkundende Stelle es unter­lassen hat, eine nach § 1597a Abs. 2 BGB gebotene Aussetzung vorzunehmen."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Scheidung, Vaterschaft, türkisches Recht, Vaterschaftsanerkennung, scheidungsakzessorischer Statuswechsel, Wirksamkeit,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1, AufenthG § 60a Abs. 2 S. 13, AufenthG § 85a, BGB § 1592 Nr. 1, BGB § 1597a Abs. 2, § 1597a Abs. 3, § 1598 Abs. 1 S. 2, § 1599 Ab.s 2 BGB, EGBGB Art. 20,
Auszüge:

10 Damit steht in jedem Fall fest, dass zum Zeitpunkt der Geburt der Bruder des Antragstellers rechtlicher Vater des Kindes war.

11 Die so begründete rechtliche Vaterschaft des Bruders des Antragstellers ist jedoch nachträglich im Wege des sog. scheidungsakzessorischen Statuswechsels gemäß § 1599 Abs. 2 BGB weggefallen und durch diejenige des Antragstellers ersetzt worden.

12 Die Vaterschaftsanerkennung des Antragstellers nach § 1599 Abs. 2 BGB ist wirksam. Nach dieser Vorschrift gilt u. a. § 1592 Nr. 1 BGB nicht, wenn das Kind nach Anhängigkeit eines Scheidungsantrags geboren wird und ein Dritter spätestens bis zum Ablauf eines Jahres nach Rechtskraft des dem Scheidungsantrag stattgebenden Beschlusses die Vaterschaft anerkennt; § 1594 Abs. 2 BGB ist nicht anzuwenden.

13 § 1599 Abs. 2 BGB ist anwendbar, auch wenn man davon ausginge, dass sich die Vaterschaft des Bruders des Antragstellers aus türkischem Recht ergäbe. Zwar kann gemäß Art. 20 Satz 1 EGBGB die Abstammung nach jedem Recht angefochten werden, aus dem sich ihre Voraussetzungen ergeben. Damit wäre bei Begründung der Vaterschaft aus türkischem Recht eine Anfechtungsmöglichkeit nur nach türkischem Recht möglich. Danach (Art. 286 türk. ZGB) ist eine Beseitigung der Vaterschaft des Ehemannes nur im Wege eines gerichtlichen Anfechtungsverfahrens vorgesehen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.05.2018, a. a. O.). Ein solches Verfahren ist bislang nicht durchgeführt worden.

14 Jedoch ist die Regelung des Art. 20 Satz 2 EGBGB entsprechend anwendbar. Danach kann das Kind die Abstammung in jedem Fall nach dem Recht des Staates anfechten, in dem es seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

15 Einer Anwendung dieser Vorschrift steht nicht entgegen, dass sie sich begrifflich auf die "Anfechtung" der Abstammung bezieht, und nicht auf die Anerkennung der Vaterschaft, wie sie § 1599 Abs. 2 BGB vorsieht. Insoweit ist entscheidend auf die mit der Anfechtung übereinstimmende, die Vaterschaft beseitigende Rechtswirkung abzustellen. Die Beseitigung der Vaterschaft beruht in der Sache auf dem Konsens aller Beteiligten. Deren Erklärungen wird vom Gesetz auch ohne eine gerichtliche Überprüfung der genetischen Abstammung des Kindes eine die rechtliche Vaterschaft des Ehemanns beseitigende Wirkung verliehen (BGH, Urteil vom 20.06.2018 – XII ZB 369/17 -, NJW 2018, 2641).

16 Auch das Fehlen einer (formellen) Beteiligung des Kindes schließt die Anwendung des Art. 20 Satz 2 EGBGB auf den scheidungsakzessorischen Statuswechsel gemäß § 1599 Abs. 2 EGBGB nicht aus. Auch nach dieser Vorschrift bedarf die Anerkennung der Zustimmung des Kindes, wenn der Mutter insoweit die elterliche Sorge nicht zusteht. Der Gesetzgeber wollte mit der Regelung in §§ 1599 Abs. 2, 1595 Abs. 2 BGB keine unterschiedlichen materiellen Schutzanforderungen hinsichtlich der Rechtsposition des Kindes treffen und diese insbesondere nicht davon abhängig machen, ob die Mutter Inhaberin der elterlichen Sorge ist oder nicht. Vielmehr hat der Gesetzgeber nur eine Vereinfachung bezweckt, was sich daran zeigt, dass er in der Gesetzesbegründung die andernfalls bestehende Notwendigkeit von zwei Erklärungen der Mutter (im eigenen Namen und im Namen des Kindes) als sinnlosen Formalismus betrachtet hat. In beiden Fällen ist also eine gleichwertige Wahrung der Interessen des Kindes bezweckt. Dass durch die vaterschaftsbeseitigende Wirkung in die vom Auslandsrecht begründete Vater-Kind-Zuordnung eingegriffen wird, liegt in der vom deutschen Recht für das Kind bewusst erweiterten Möglichkeit der Vaterschaftsbeseitigung begründet (BGH, Urteil vom 20.06.2018, a.a.O.).

17 Einem scheidungsakzessorischen Statuswechsel nach § 1599 Abs. 2 BGB steht auch nicht entgegen, dass das Kind erst nach der Rechtskraft des türkischen Scheidungsurteils geboren wurde. Zwar ist der Statuswechsel nach deutschem Recht aufgrund § 1592 Nr. 1 BGB nur für zwischen Anhängigkeit des Scheidungsantrags und Rechtskraft der Scheidung geborene Kinder erforderlich. § 1599 Abs. 2 BGB sieht jedoch nach seinem Wortlaut eine zeitliche Begrenzung durch die Rechtskraft der Scheidung nicht vor. Außerdem ist die Regelung ersichtlich auf Inlandssachverhalte zugeschnitten. Einer Regelung für nach Rechtskraft der Scheidung geborene Kinder bedarf es bei Anwendbarkeit des deutschen Rechts nicht, weil keine gesetzliche Vaterschaft des geschiedenen Ehemannes mehr begründet wird. Damit stehen sowohl die Anerkennung der Vaterschaft durch einen anderen Mann als auch dessen gerichtliche Feststellung als Vater offen. Nach Sinn und Zweck des § 1599 Abs. 2 BGB muss der erleichterte Statuswechsel eröffnet sein, wenn sogar das nach Rechtskraft der Scheidung geborene Kind nach dem anwendbaren Auslandsrecht noch dem geschiedenen Ehemann als Vater zugeordnet wird (BGH, Beschluss vom 20.06.2018, a. a. O.). [...]