VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 12.04.2019 - 10 ZB 19.275 - asyl.net: M27439
https://www.asyl.net/rsdb/M27439
Leitsatz:

Kein besonderer Ausweisungsschutz ohne Daueraufenthaltsrecht:

Der Ausweisungsschutz einer daueraufenthaltsberechtigter Person in einem zweiten Mitgliedstaat der EU, in dem sie sich zwischenzeitlich niedergelassen hat, ist schwächer als der Ausweisungsschutz im ersten Mitgliedstaat, in dem sie die Erlaubnis zum Daueraufenthalt erworben hat. Denn bei einer Ausweisung aus dem zweiten Mitgliedstaat bleibt das Aufenthaltsrecht im ersten Mitgliedstaat erhalten.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausweisungsschutz, besonderer Ausweisungsschutz, Daueraufenthaltsberechtigte, Daueraufenthalt, Europäische Union, Drittstaatsangehörige, Ausweisung, EU-Mitgliedstaat, EU-Staat,
Normen: AufenthG § 53 Abs. 3, AufenthG § 9a,
Auszüge:

[...]

9 [...] In der im Berufungszulassungsvorbringen in Bezug genommenen Literatur wird zwar diese Frage zunächst aufgeworfen, dann aber - im Sinne der auch vom Erstgericht herangezogenen (erstinstanzlichen) Rechtsprechung - dahingehend beantwortet, dass sich aus Art. 22 Abs. 1 Buchst a, Abs. 2 RL 2003/109/EG schließen lasse, "dass eine Ausweisung mit dem Ziel der Aufenthaltsbeendigung in den ersten Mitgliedstaat, in dem der Ausländer die langfristige Aufenthaltsberechtigung erworben hat, nur voraussetzt, dass der Ausländer eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Sinne des Art. 17 RL 2003/109/EG ist. Nach Art. 17 Abs. 1 RL 2003/109/EG hat der zweite Mitgliedstaat bei seiner Entscheidung lediglich die Schwere oder die Art des vom langfristig Aufenthaltsberechtigten begangenen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit bzw. die von der betroffenen Person ausgehende Gefahr zu berücksichtigen; die Entscheidung darf nach Art. 17 Abs. 2 RL 2003/109/EG nicht aus wirtschaftlichen Gründen getroffen werden. Die - gegenüber Art. 12 RL 2003/109/EG - abgesenkten Anforderung erklären sich daraus, dass das Aufenthaltsrecht des ersten Mitgliedstaats unberührt bleibt und dieser den Ausländer nach Art. 22 Abs. 2 RL 2003/109/EG rückübernehmen muss. Die Ausweisung richtet sich daher nach § 53 Abs. 1, Abs. 2 in Verbindung mit § 54, § 55 AufenthG." (Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 53 Rn. 66).

10 Aus der vom Kläger weiter angeführten Literaturmeinung (s. HTK Kommentar, § 53 Rn. 32 u. 35), wonach sich "in ähnlicher Weise die Frage einer entsprechenden Anwendung des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG n.F. im Licht der Richtlinie 2003/109/EG auch bei denjenigen Daueraufenthaltsberechtigten, die ein Daueraufenthaltsrecht zunächst nicht im Bundesgebiet, sondern in einem anderen Mitgliedstaat der EU erlangt haben und deshalb keine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU gemäß § 9a AufenthG besitzen, sondern lediglich eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 38a AufenthG", stelle, geht ebenfalls nicht hervor, dass insofern eine abweichende Auffassung vertreten wird. Indes ist in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs geklärt, dass die in Art. 17 RL 2003/109/EG errichtete Schwelle niedriger liegt, als die Gefahrenschwelle für die Ausweisung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2013 - 19 AS 12.2476 - juris Rn. 20 unter Bezugnahme auf EuGH, U.v. 8.12.2011 - Ziebell C-371/08 - juris Rn. 74). Demgemäß gilt, sofern (nur) die Ausweisung in den anderen Mitgliedstaat inmitten steht, der abgesenkte Maßstab des Art. 17 RL 2003/109/EG (vgl. Beichel-Benedetti in Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Auflage 2016, § 53 Rn. 26; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 38a Rn. 56 und Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 53 Rn. 67; Müller in Hofmann, NK-AuslR, 2. Auflage 2016, § 38a Rn. 39).

11 Dies ergibt sich aus Art. 22 RL 2003/109/EG (Entzug des Aufenthaltstitels und Verpflichtung zur Rückübernahme), der in Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 und Abs. 3 danach differenziert, ob (vor Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten) der Drittstaatsangehörige zur Ausreise vom zweiten in den ersten Mitgliedstaat gemäß den Verfahren des nationalen Rechts verpflichtet wird (Abs. 1 i.V.m. Abs. 2) oder aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit die Rückführung des Drittstaatsangehörigen aus dem Gebiet der Union unter Beachtung der Garantien des Art. 12 verfügt wird (Abs. 3). Für eine Maßnahme nach Absatz 1 genügt u.a. das Vorliegen von Gründen der öffentlichen Ordnung oder öffentlichen Sicherheit im Sinne des Art. 17 RL 2003/109/EG (Art. 22 Abs. 1 Buchst. a RL 2003/109/EG); der erste Mitgliedstaat, dem vom zweiten Mitgliedstaat die Entscheidung mitgeteilt wird, hat gemäß Art. 22 Abs. 2 RL 2003/109/EG den langfristig Aufenthaltsberechtigten unverzüglich und ohne Formalitäten zurückzunehmen. Demzufolge trifft Art. 22 RL 2003/109/EG entgegen der Auffassung des Klägers durchaus Regelungen zur Ausweisung aus dem Zweitstaat. Hingegen vermittelt Art. 21 RL 2003/109/EG entgegen der klägerischen Ansicht weder nach dem Wortlaut noch nach dem systematischen Zusammenhang einen erhöhten Ausweisungsschutz. [...]