VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 07.05.2019 - 5 K 4538/17.A - asyl.net: M27442
https://www.asyl.net/rsdb/M27442
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für einen Afghanen, der als Arbaki bei der Bekämpfung des illegalen Drogenhandels in Helmand tätig war.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Arbaki, Miliz, Taliban, Afghanistan, Mohnanbau, Opium, Flüchtlingsanerkennung, Polizei, Drogenhandel, interner Schutz, Helmand,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3e,
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG. [...]

Aufgrund der glaubhaft geschilderten Ereignisse im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Klägers als sogenannter Arbaki ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger vorverfolgt aus Afghanistan ausgereist ist. Er ist danach bereits von Taliban gesucht worden, weil er in seiner Tätigkeit als Arbaki in einer Einheit zur Eindämmung der Produktion von und des Handels mit Opium gearbeitet hat und in diesem Zusammenhang auch zur Festnahme eines Drogenhändlers beigetragen hat. Die Provinz Helmand, in der der Kläger tätig war, ist aufgrund ihrer fruchtbaren Landschaft aber nicht nur ein großes Zentrum der Opiumproduktion, vielmehr werden aus den damit erzielten Erträgen in hohem Maße die Finanzen der Taliban unterstützt. [...]

Insoweit liegt es auf der Hand, dass die Taliban versuchen, Mitarbeiter von staatlichen Einheiten, die der Eindämmung des Drogenhandels dienen, zu eliminieren. [...]

Es liegt mithin eine Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG vor. Danach gelten als Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. [...]

Hier ist der Kläger durch die Taliban, die ihn in Zusammenhang mit der Arbeit der Polizei zur Verhinderung des Drogenanbaus und -handels sehen, einer schwerwiegenden Gefährdung von Leib und Leben ausgesetzt und damit seiner grundlegenden Menschenrechte auf körperliche Unversehrtheit und physische Freiheit beeinträchtigt.

Er gehört aufgrund der geschilderten Vorfälle zu den Personen, die die Regierung unterstützen oder als deren Unterstützer betrachtet werden. Diese laufen Gefahr, von den regierungsfeindlichen Gruppierungen wie auch den Taliban, wegen des Verdachts der Unterstützung der Regierung oder der Spionage für diese entführt oder getötet zu werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan – Update – die aktuelle Sicherheitslage, September 2017, S. 24 m.w.N.), wobei der Kläger vorliegend nicht nur im Verdacht stand, derartige Unterstützungshandlungen vorzunehmen, sondern dieses im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit sogar bekannt war.

Diese Verfolgungshandlung knüpft gemäß § 3a Abs. 3 AsylG an den Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung im Sinne von § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG an. [...]

Bei den Taliban handelt es sich nach § 3c AsylG um Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann. Die Taliban sind nichtstaatliche Akteure, gegen die der afghanische Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage ist, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten (§ 3c Nr. 3 AsylG). [...]

Helmand ist aufgrund seiner fruchtbaren Landschaft nicht nur ein großes Zentrum der Opiumproduktion, welches in hohem Maße die Finanzen der Taliban unterstützt (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018, S. 94 f. (s.o.)).

Schätzungen Regierungsbeamter zufolge haben die Taliban Anfang des Jahres 2017 85% der mohnanbauenden Provinz Helmand kontrolliert. Berichten zufolge wurde die Provinz Helmand in den ersten drei Monaten des Jahres 2018 zu den volatilen Provinzen des Südens gezählt, in welcher aufständische Gruppierungen in einer Anzahl von Distrikten aktiv waren und Angriffe ausführten. [...]

Interner Schutz bzw. eine inländische Fluchtalternative nach § 3e AsylG ist für den Kläger landesweit nicht gegeben. [...]

Insbesondere stellen die Städte Kabul, Mazar-e Sharif und Herat keine inländische Fluchtalternative dar. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass der Kläger gegenwärtig wohl von Deutschland aus sicher nach Kabul verbracht werden könnte und von dort unmittelbar nach Mazar-e Sharif oder Herat fliegen könnte, ist nicht ersichtlich, dass der Kläger dort oder in einer anderen Gegend des Landes vor den Taliban sicher sein könnte. [...]

Dies gilt umso mehr, als der Kläger in Afghanistan nicht über ein familiäres Netzwerk verfügt, das ihn unterstützen könnte. Er wäre daher darauf angewiesen, seinen Lebensunterhalt vollständig durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern und sich eine eigene Unterkunft zu suchen. Aufgrund der insbesondere im Hinblick auf den Zustrom von Rückkehrern aus Pakistan und Binnenvertriebenen äußerst prekären Lage des Arbeitsund Wohnungsmarkts in Kabul, aber auch in den Städten Mazar-e Sharif und Herat (vgl. dazu etwa Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), Country of Origin Information Report Afghanistan, Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, August 2017, S. 28 ff., 63 ff.; UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 7 f., jüngst noch ebenso EASO, Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul-City, Mazar-e Sharif and Herat City, Country of Origin Information Report, April 2019) kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger die Flexibilität hätte, seine Anonymität im Alltag zu wahren und Orte zu meiden, an denen sich Taliban oder andere Personen aufhalten könnten, die in der Lage wären, ihn zu identifizieren. [...]