VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 21.05.2019 - 4 A 31/18 - asyl.net: M27476
https://www.asyl.net/rsdb/M27476
Leitsatz:

Flüchtlingsschutz für Mutter mit zwei Kindern aus Tschetschenien, deren Ehemann verschwunden ist:

1. Ist eine Ehefrau nach dem Verschwinden ihres Mannes immer wieder flüchtlingsrechtlich relevanten Übergriffen und Nachstellungen der russischen bzw. tschetschenischen Behörden ausgesetzt, so ist davon auszugehen, dass sie wegen des Verfolgungsinteresses der Sicherheitskräfte an ihrem verschwundenen Mann in dessen Verfolgung einbezogen worden ist.

2. Über die Einreise- und Aufenthaltsverbote der beiden Kinder muss das Bundesamt neu entscheiden, da das Bleiberecht der Mutter berücksichtigt werden muss und die Kinder trotz zwischenzeitlich eingetretener Volljährigkeit noch auf ihre Mutter angewiesen sind. Zudem kommt für die Kinder bei rechtskräftiger Entscheidung Familienflüchtlingsschutz in Betracht.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Russische Föderation, Tschetschenien, Sippenhaft, Frauen, interne Fluchtalternative, Einreise- und Aufenthaltsverbot, Kinder, Kind, Volljährigkeit,
Normen: AsylG § 3,
Auszüge:

[...]

Ausgehend von diesen Grundsätzen steht der Klägerin zu 1. ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu. Das Gericht ist überzeugt davon, dass die Klägerin zu 1. im Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit seitens der russischen und tschetschenischen Sicherheitskräfte einer erneuten Gefährdungslage ausgesetzt sein wird.

Die Klägerin zu 1. hat im Verwaltungs- sowie im Gerichtsverfahren nachvollziehbar und glaubhaft dargelegt, dass sie wegen ihres im Jahre ... verschwundenen Ehemannes flüchtlingsrelevanten Übergriffen und Nachstellungen der russischen bzw. tschetschenischen Sicherheitskräfte ausgesetzt gewesen ist und vor unmittelbar drohenden erneuten Übergriffen ihr Heimatland verlassen musste. Die Klägerin zu 1. hat in sich stimmig und plausibel geschildert, dass ihr Ehemann, obwohl er im Jahre ... wegen seiner separatistischen Bestrebungen amnestiert worden war, in der Folgezeit immer wieder durch Verhaftungen betroffen gewesen ist. Insoweit ist für das Gericht glaubhaft, dass die Nachstellungen nach dem Verschwinden ihres Mannes sich auf ihre Person konzentrierten, um von ihr Informationen über den Aufenthaltsort und das Schicksal ihres Ehemannes zu erlangen. Hier hat die Klägerin auch glaubhaft geschildert, dass sie von staatlichen Sicherheitskräften immer wieder aufgesucht wurde und sogar für drei Tage festgenommen und inhaftiert worden ist. [...] Nach alledem steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin zu 1. wegen des Verfolgungsinteresses der staatlichen Sicherheitskräfte an ihrem verschwundenen Mann in dessen Verfolgung einbezogen worden ist und mit einer politischen Verfolgungsgefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland erneut zu rechnen hat. [...]