VG Darmstadt

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Zitieren als:
VG Darmstadt, Urteil vom 19.06.2019 - 4 K 1300/16.DA.A - asyl.net: M27517
https://www.asyl.net/rsdb/M27517
Leitsatz:

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für ein Mädchen aus Burkina Faso wegen drohender Genitalverstümmelung (FGM).

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Burkina Faso, geschlechtsspezifische Verfolgung, Genitalverstümmelung, alleinerziehend,
Normen: AsylG § 3,
Auszüge:

[...]

Denn obwohl weibliche Genitalverstümmelung in Burkina Faso seit 1996 gesetzlich verboten ist, wird sie weiter praktiziert (European Asylum Support Office (EASO), COI query, Burkina Faso v. 12 Februar 2019, S. 5; Amnesty International (AI), Burkina Faso: Urgent need to protect girls from FGM and forced marriage v. 10. Oktober 2018). Die Klägerin befindet sich nach wie vor in einem Alter, in dem Zwangsbeschneidungen hauptsächlich durchgeführt werden. Auch gehört sie weiterhin zu einer Gruppe, die in besonderem Maße betroffen ist: 81 % der muslimischen Frauen und Mädchen im Alter zwischen 15 und 49 sind beschnitten, während es insgesamt in Burkina Faso nur noch 76 % der Frauen und Mädchen sind. Auch in der Region, aus der die Klägerin und ihre Familie stammen, Hauts-Bassins im Südwesten des Landes, liegt die Beschneidungsrate mit weiterhin über 80 % deutlich über dem Durchschnitt (vgl. UNICEF, Burkina Faso, statistical profile on female genital mutilation v. Januar 2019). [...]

Bei der drohenden Genitalverstümmelung handelt es sich um eine Verfolgung nichtstaatlicher Akteure, wobei staatliche burkinische Stellen oder internationale Organisationen nicht in der Lage sind, der Klägerin gemäß § 3c Nr. 3 AsylG wirksam und dauerhaft i.S.d. § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten. Zwar ist Burkina Faso sehr engagiert in der Bekämpfung der weiblichen Genitalverstümmelung. Seit über zwanzig Jahren bekämpft die Regierung diese Praktik und nimmt auch eine führende Rolle im internationalen Engagement dagegen ein. Das im Jahr 1996 erlassene Gesetz No. 043/96/ADP, nach dem Beschneiderinnen und Initiatorinnen mit bis zu drei Jahren Gefängnis und Geldstrafen bis zu 10.000 USD bestraft werden, gehört zu den härtesten in ganz Afrika (vgl. Thomson Reuters Foundation, 28 Too Many, Burkina Faso: The Law and FGM v. September 2018; Terre des Femmes, Genitalverstümmelung in Afrika, Burkina Faso v. September 2016). Zuletzt wurden Berichten zufolge im September 2018 etwa 30 Personen verhaftet und angeklagt, nachdem sie Zwangsbeschneidungen durchgeführt hatten (U.S. Department of State, Burkina Faso 2018 Human Rights Report v. März 2019, S. 16; EASO, a.a.O., S. 5). Wenngleich die Zahl der Zwangsbeschneidungen deshalb in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist und auch für die Zukunft eine weiter positive Entwicklung zu erwarten ist (vgl. UNICEF, a.a.O.; Terre des Femmes, Informationen zur weiblichen Genitalverstümmelung in Burkina Faso v. 16 September 2015), werden diese, wie bereits dargestellt, immer noch - häufig im Verborgenen und unter desolaten hygienischen Bedingungen (AI, a.a.O) - durchgeführt. [...]