VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Urteil vom 01.08.2019 - 4 A 2334/18.A - asyl.net: M27555
https://www.asyl.net/rsdb/M27555
Leitsatz:

Kein subsidiärer Schutz für eine Person aus Mogadischu ohne individuelle gefahrerhöhende Umstände:

"In Mogadischu (Somalia) ist eine Zivilperson, ohne dass gefahrerhöhende Umstände gegeben sind, nicht einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes ausgesetzt (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG)."

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Somalia, Mogadischu, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, extreme Gefahrenlage, subsidiärer Schutz, Abschiebungsverbot, Existenzgrundlage, Existenzminimum, Aufstockungsklage, Upgrade-Klage, Zwangsrekrutierung, Minderheitenclan, Al-Shabaab, Madhiban,
Normen: AsylG § 4 Abs. 1, AsylG § 4 Ab.s 1 S. 2 Nr. 3, AufenthG § 60 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG. Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. Dezember 2016 ist insoweit rechtmäßig. [...]

Bei Anwendung dieses Maßstabes gelangt der Senat nicht zu der Überzeugung, dass dem Kläger in seinem Heimatland ein ernsthafter Schaden droht. Er macht geltend, einer möglichen Zwangsrekrutierung durch die al-Schabaab-Miliz ausgesetzt zu sein sowie zu befürchten, Opfer eines in Somalia vorherrschenden Konfliktes zu werden. Zudem sei er Angehöriger eines Minderheitenclans. [...]

1. Soweit der Kläger seinen Anspruch auf die Befürchtung stützt, von der al-Shabaab-Miliz zwangsrekrutiert zu werden, führt dies nicht zu einer Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Zwar trägt der Kläger vor, bereits einmal in den Fokus der al-Shabaab geraten zu sein, da er von dieser angesprochen worden sei, er möge sich ihnen anschließen und mit ihnen kämpfen bzw. er werde abgeholt und zu einem Stützpunkt gebracht, auf welchem Jugendliche trainiert würden. Dies vermag die Beweiserleichterungen des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU gleichwohl nicht zu begründen, da sich die Ausgangssituation – jedenfalls in Mogadischu, mithin dem Ort einer potentiellen Rückkehr des Klägers – zwischenzeitlich grundlegend geändert hat. Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln ist der Rückzug der formalen Präsenz der al-Shabaab aus Mogadischu dauerhaft, so dass es in der Stadt nunmehr kein Risiko mehr gibt, von der al-Shabaab zwangsrekrutiert zu werden (Bayerischer VGH, Urteil vom 23. März 2017 – 20 B 15.30110 –, juris Rdnr. 29; EGMR, Urteil vom 10. September 2015 – Nr. 4601/14 [R.H./Schweden] –, NVwZ 2016, 1785 [1788]).

2. Der Umstand, dass der Kläger dem Minderheitenclan der Madhiban angehört, führt ebenfalls nicht zu einer Zuerkennung des subsidiären Schutzes. Zwar werden Minderheiten wie die Madhiban in Somalia von den Mehrheitsclans geringschätzt und diskriminiert, wobei einzelne Minderheiten unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen leben und sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – nicht aber systematisch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt sehen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, 12. Januar 2018, S. 88), doch erreicht dies abgesehen von Einzelfällen nicht generell bei allen Angehörigen eines Minderheitenclans eine solche Schwere, dass dies als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung anzusehen wäre (Bayerischer VGH, Urteil vom 22. März 2018 – 20 B 17.31709 –, juris Rdnr. 20). Zudem hat sich in den vergangenen Jahren die Situation verbessert (Staatssekretariat für Migration SEM, Schweizerische Eidgenossenschaft, Focus Somalia – Clans und Minderheiten, 31. Mai 2017, S. 38).

3. Dem Kläger ist der subsidiäre Schutzstatus auch nicht aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage in Somalia, insbesondere Mogadischu, zuzuerkennen. Zwar sind die humanitären Bedingungen in dem Heimatstaat des Klägers für diesen aufgrund seiner persönlichen Lebensumstände derart widrig, dass eine Rückführung nach Somalia eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, doch ist diese Situation keinem Akteur im Sinne des § 3c AsylG zuzurechnen. [...]

Zwar ist die Gefahr, bei einer Rückkehr nach Somalia wegen schlechter humanitärer Bedingungen zu Schaden zu kommen nicht alleine auf generelle Armut oder fehlende staatliche Mittel zurückzuführen, sondern geht überwiegend auf direkte oder indirekte Aktionen der am Konflikt in Somalia beteiligten Akteure zurück (OVG Niedersachsen, Urteil vom 5. Dezember 2017 – 4 LB 50/16 –, juris Rdnr. 70; BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15.12 –, juris Rdnr. 25), doch ist dies für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG nicht ausreichend. Erforderlich ist vielmehr, dass die schlechten humanitären Bedingungen zielgerichtet von einem Akteur gemäß § 3c AsylG hervorgerufen oder jedenfalls wesentlich verstärkt werden (BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2019 – 1 B 2.19 –, juris Rdnr. 13; VGH Baden:Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17 –, juris Rdnr. 54 ff., insbesondere Rdnr. 77 bis 79). Dass die gegenwärtigen humanitären Bedingungen in Somalia bewusst von einer der an dem Konflikt beteiligten Parteien bzw. einem Akteur im Sinne des § 3c AsylG hervorgerufen oder gefördert worden wären, lässt sich nicht feststellen.

III. Ein Anspruch des Klägers auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus resultiert auch nicht daraus, dass er als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) ausgesetzt wäre.

Ob in diesem Zusammenhang in der somalischen Hauptstadt Mogadischu weiterhin ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht, kann dahinstehen, da der Kläger als Zivilperson aufgrund der gegenwärtigen Konfliktlage jedenfalls keiner ernsthaften, individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 23. März 2017 – 20 B 15.30110 –, juris Rdnr. 24; Bayerischer VGH, Urteil vom 22. März 2018 – 20 B 17.31709 –, juris Rdnr. 21; Bayerischer VGH, Urteil vom 27. März 2018 – 20 B 17.31663 –, juris Rdnr. 26). [...]

Entsprechend sind in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet zu treffen. Liegen in der Person des jeweiligen Antragstellers keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 4.09 –, juris Rdnr. 33; OVG Niedersachsen, Urteil vom 5. Dezember 2017 – 4 LB 50/16 –, juris Rdnr. 38; Bayerischer VGH, Urteil vom 27. März 2018 – 20 B 17.31663 –, juris Rdnr. 27). Zu diesen persönlichen Umständen gehören solche Aspekte, die den jeweiligen Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – etwa als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Daneben können aber auch Umstände ausschlaggebend sein, aufgrund derer der jeweilige Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 4.09 –, juris Rdnr. 33; OVG Niedersachsen, Urteil vom 5. Dezember 2017 – 4 LB 50/16 –, juris Rdnr. 38). Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. [...]

1. Für die Heimatregion des Klägers – Mogadischu – lässt sich kein derart hohes Niveau willkürlicher Gewalt feststellen, welches – ohne individuelle gefahrerhöhende Umstände – zu einer Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG führt. [...]

Bei wertender Betrachtung ergibt sich damit, dass die in Mogadischu stattfindenden Angriffe zielgerichtet auf bestimmte Personen und Objekte bezogen sind, weshalb unbeteiligte Zivilpersonen eher zufällig Opfer werden. Die Situation in Mogadischu ist nach allem auch unter Berücksichtigung der in der neueren Presseberichterstattung genannten Opferzahlen nicht derart unsicher, dass jede Person aufgrund ihrer bloßen Anwesenheit einer erheblichen Gefahr für Leib bzw. Leben ausgesetzt ist (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 27. März 2018 – 20 B 17.31663 –, juris Rdnr. 36).

2. In der Person des Klägers liegen auch keine persönlichen Umstände vor, welche zu einer Risikoerhöhung führen.

a. Eine solche ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass der Kläger nach einem längeren Auslandsaufenthalt in sein Heimatland zurückkehrt. [...]

b. Auch die Zugehörigkeit des Klägers zu dem Minderheitenclan der Madhiban, führt nicht zu einer Risikoerhöhung in seiner Person. Zwar werden Minderheiten überproportional oft das Opfer von Tötungen, Folter, Entführung, unrechtmäßiger Enteignung von Land und Besitz durch die Mehrheitsclans (U.S. Department of State, Somalia 2018, Human Rights Report, 13. März 2019, S. 34), doch ist dies kein Ausfluss eines bewaffneten innerstaatlichen Konfliktes in Somalia. Die Gefahr, Opfer dieses Konfliktes zu werden, steigt daher nicht durch die Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan (Bayerischer VGH, Urteil vom 27. März 2018 – 20 B 17.31663 –, juris Rdnr. 32). [...]