VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Beschluss vom 30.08.2019 - 10 L 370/19.A - asyl.net: M27570
https://www.asyl.net/rsdb/M27570
Leitsatz:

Ablehnung des Asylantrags eines in Deutschland geborenen Kindes algerischer Eltern als offensichlich unbegründet:

1. Eine Ablehnung als "offensichtlich unbegründet" nach § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG steht nicht im Einklang mit Unionsrecht.

2. Die Ablehnung des Asylantrags als "offensichtlich unbegründet" ist möglich, wenn die Asylanträge der Eltern nur als einfach unbegründet abgelehnt wurden, diese Ablehnung aber rechtskräftig ist und daher auch die Zuerkennung von Familienasyl nicht mehr möglich ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: offensichtlich unbegründet, Algerien, Kind, Familienasyl, Familienschutz,
Normen: AsylG § 30 Abs. 3 Nr. 7, AsylG § 30 Abs. 1, AsylG § 26,
Auszüge:

[...]

a) Das Bundesamt durfte nicht § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG als Rechtsgrundlage für die Ablehnung des Asylantrag des Antragstellers als offensichtlich unbegründet heranziehen. Nach dieser Vorschrift ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn er für einen nach diesem Gesetz handlungsunfähigen Ausländer gestellt wird oder nach § 14a AsylG als gestellt gilt, nachdem zuvor Asylanträge der Eltern oder des allein personensorgeberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden sind. [...]

Nach Art. 32 Abs. 2 RL 2013/32/EU können die Mitgliedstaaten im Falle von unbegründeten Anträgen, bei denen einer der in Artikel 31 Absatz 8 RL 2013/32/EU aufgeführten Umstände gegeben ist, einen Antrag als offensichtlich unbegründet betrachten, wenn dies so in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen ist. Dabei ist die in Art. 31 Abs. 8 RL 2013/32/EU erfolgte Aufzählung abschließend, weil Art. 5 RL 2013/32/EU bei Verfahren zur Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes lediglich die Einführung und die Beibehaltung günstigerer Bestimmungen vorsieht (vgl. VG Minden, Kammerbeschluss vom 04. Juli 2016 – 10 L 898/16.A -, Asylmagazin 2016, 321 (juris Rn. 25 ff.); VG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Dezember 2015 – 5 L 3947/15.A -, juris Rn. 20 ff.).

Art. 31 Abs. 8 RL 2013/32/EU enthält in seiner enumerativen Aufzählung indes keine rechtliche Grundlage, auf die sich eine nationale Vorschrift wie § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG stützen ließe (vgl. VG Minden, Beschluss vom 04. Juli 2019 - 6 L 715/19.A -, juris Rn. 8 ff. m.w.N.).

Aufgrund der Unvereinbarkeit mit Unionrecht ist § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG nicht anzuwenden (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Mai 2003 - C-462.99 - juris Rn. 40; EuGH, Urteil vom 09. März 1978 - C-106/77 -, juris Rn. 21-24). [...]

Nichts anderes ergibt sich aus der in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung, die Ablehnung eines Asylantrags eines minderjährigen Asylantragstellers als offensichtlich unbegründet komme nur dann in Betracht, wenn auch ein Anspruch auf Familienasyl und internationalen Schutz für Familienangehörige offensichtlich ausscheidet. Insofern soll, soweit ein minderjähriger Asylantragsteller - wie hier - sein Verfolgungsschicksal von dem seiner Eltern ableitet, eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet erst - aber auch immer dann - möglich sein, wenn der Asylantrag der stammberechtigten Eltern vom Bundesamt überprüft und ebenfalls qualifiziert als offensichtlich unbegründet oder zwar als "einfach" unbegründet, aber bestandskräftig abgelehnt worden ist (vgl. VG Minden, Beschluss vom 04. Juli 2019 - 6 L 715/19.A -, juris Rn. 19-22 m.w.N.). [...]