OVG Thüringen

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Zitieren als:
OVG Thüringen, Urteil vom 06.03.2002 - 3 KO 428/99 - asyl.net: M2759
https://www.asyl.net/rsdb/M2759
Leitsatz:

Im Ausland begangene Verstöße gegen das vietnamesische Strafrecht können bestraft werden; zur Strafbarkeit von politischen Meinungsäußerungen (vor allem Art. 88 vietnamesisches Strafgesetzbuch n.F.); beachtliche Verfolgungsgefahr bei hervorgehobener exilpolitischer Betätigung, die in ihrer Wirkung nicht auf das Ausland beschränkt geblieben ist; öffentliches Bekanntwerden in Vietnam ist nicht unbedingt erforderlich; neue Tatsachen, die an eine fristgemäß geltend gemachte Tatsache anknüpfen (z.B. sich wiederholende gleichartige exilpolitische Betätigung oder Folgetatsachen, die nach einer wertenden Beurteilung wegen ihres vergleichbaren Niveaus zu einer Einheit zusammengefasst werden können), können ohne Beachtung der Drei-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG in das Asylfolgeverfahren eingeführt werden; bei einer erfolgreichen Verpflichtungsklage auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG ist die Abschiebungsandrohung insgesamt aufzuheben und nicht nur bezüglich des Herkunftslandes (Änderung der Rspr. des Senats).(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: Vietnam, Folgeantrag, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Antragstellung als Asylgrund, Exilpolitische Betätigung, Demokratische Organisation Vietnams, Demonstrationen, Offener Brief, Publikationen, Chan En, Cong An Nhan Dan, Wiederaufgreifensgründe, Neue Tatsachen, Drei-Monats-Frist, Situation bei Rückkehr, Strafverfolgung, Auslandsstraftaten, Staatsschutzdelikte, Abschiebungsschutz, Abschiebungsandrohung, Zielstaatsbezeichnung,
Normen: AuslG § 50; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 51 Abs. 4; AuslG § 53; AsylVfG § 71; AsylVfG § 34; VwVfG § 51 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 3; VwGO § 113 Abs. 1; VwGO § 113 Abs. 5; VStGB Art. 88 n.F.; VStGB Art. 6 n
Auszüge:

Der Antrag gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG ist binnen einer Frist von drei Monaten zu stellen. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat (§ 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG). Die (positive) Kenntnis muss sich bei einer Änderung der Sachlage im Sinne von § 51 Abs.1 Nr. 1 VwVfG auf Tatsachen beziehen, die den Grund für das Wiederaufgreifen bilden sollen. Solche, einem Beweis zugängliche Tatsachen sind konkrete Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die sinnlich wahrnehmbar in die Wirklichkeit getreten sind. Dazu gehören auch innere Tatsachen, soweit sie zu bestimmten äußeren Geschehnissen, durch die sie in der äußeren Welt zur Erscheinung gelangt sind, erkennbar in Beziehung gesetzt werden (zum Begriff vgl. Schönke/Schröder, StGB, Kommentar, § 186 Rn. 3; Zöller, ZPO, Kommentar, 21. Auflage, § 286 Rn. 9). Äußere Tatsachen in diesem Sinne bei exilpolitischen Aktivitäten können etwa sein eine Demonstration, die Verteilung von Flugblättern, die Besetzung eines Parteibüros, ein Hungerstreik etc. Innere Tatsachen können etwa die geänderte politische Einstellung, die sich nach außen hin durch entsprechende Äußerungen erklärend manifestiert hat oder ein anderweitiges religiöses Bekenntnis sein.

Einzeltatsachen in diesem Sinne sind auch sogenannte Dauersachverhalte; sie sind entweder durch auf Dauer angelegte Verhältnisse gekennzeichnet (z. B. die Mitgliedschaft des Asylsuchenden in einer Exilorganisation, die Tätigkeit als Funktionär einer politischen Exilgruppe etc.) oder aber dadurch, dass ein durch ein bestimmtes Ereignis oder Handeln gesetzter Zustand sich kontinuierlich zu einem Wiederaufgreifensgrund fortentwickelt (z. B. eine bestimmte politische Veränderung im Herkunftsland). Bei letzteren fehlt bis zu diesem Zeitpunkt dem einzelnen untergeordnetem Einzelgeschehen die Eignung, selbständig ein Verfolgungsrisiko auszulösen. Auch bei Dauersachverhalten ist grundsätzlich die erstmalige Kenntnis von dem Dauersachverhalt maßgeblich (z. B. der Eintritt des Asylsuchenden in eine Exilorganisation, der Aufstieg zum Funktionär innerhalb der Organisation, die entscheidungserhebliche Veränderung im Heimatland).

Regelmäßig ist für jeden einzelnen in das Verfahren eingeführten Sachverhalt gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG die Drei-Monats-Frist des § 51 Abs.3 VwVfG gesondert zu ermitteln. Diese Ausschlussfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG gilt nicht nur im Verfahren vor dem Bundesamt, sondern auch für bei Gericht neu vorgebrachte Wiederaufgreifensgründe (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 1989 - 9 B 320.89 -, NVwZ 1990, 359; Beschluss vom 13. Mai 1993 - 9 C 49.92 -, BVerwGE 92, 278 = NVwZ 1993, 357), die wegen § 77 AsylVfG, der für das gerichtliche Verfahren auf die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstellt, vom Grundsatz her noch berücksichtigungsfähig sind. Wird indessen die Frist versäumt, ist der mit dem Wiederaufgreifensgrund geltend gemachte neue Lebenssachverhalt von einer Sachprüfung im Sinne von Art. 16a GG, §§ 51, 53 AuslG ausgeschlossen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. August 1987 - 9 B 318.86 -, EZAR 212 Nr. 4); darin liegt die den Streitstoff begrenzende Wirkung von § 51 Abs.3 VwVfG im asylrechtlichen Folgeantragsverfahren.

Etwas anderes gilt nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 - (a.a.O.) nur dann, "wenn einzelne neue Tatsachen, die zur Begründung nachgeschoben werden, lediglich einen bereits rechtzeitig geltend gemachten Wiederaufgreifensgrund bestätigen, wiederholen, erläutern oder konkretisieren, also nicht qualitativ neu sind, d. h. nicht aus dem Rahmen der bisher für das Wiederaufgreifen angeführten Umstände fallen und damit keinen neuen Wiederaufgreifensgrund - wie z. B. die Übernahme herausgehobener Funktionen in einer Exilorganisation, in der der Asylsuchende bisher nur als einfaches Mitglied beteiligt bzw. untergeordnet tätig war - darstellen", wie das Gericht im Rahmen von Hinweisen zur weiteren Sachbehandlung verdeutlicht hat. Da die Ausschlussfrist des § 51 Abs.3 VwVfG - ebenso wie das Verschuldensprinzip in Abs. 2 der Vorschrift - die Möglichkeiten für die Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheides im Interesse der Rechtssicherheit eng begrenzen soll, kann dieser Zweck durch die Berücksichtigung an sich verspätet vorgetragener, aber qualitativ den bereits geltend gemachten Wiederaufgreifensgrund nur bestätigende und verdeutlichende tatsächliche Umstände, die sich einem einheitlichen Lebenssachverhalt im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG zuordnen lassen, nicht in Frage gestellt werden.

Nicht neue Tatsachen in diesem Sinne sind bei exilpolitischer Betätigung insbesondere typischerweise diejenigen Einzelsachverhalte, die sich nur als Fortsetzung gleichartiger Aktivitäten darstellen, die bereits rechtzeitig in das Folgeverfahren eingeführt worden sind. In gleicher Weise gilt dies auch für Tatsachen, die sich in wertender Sicht als Geschehnisse auf vergleichbaren Niveau darstellen und deshalb qualitativ zu einer Handlungseinheit zusammengefasst werden können. Voraussetzung hierfür ist, dass die nachgeschobenen Gründe sich bei natürlicher Betrachtungsweise von dem bisher rechtzeitig geltend gemachten Wiederaufgreifensgrund nach Art, Umfang und in ihrer Wirkung nach außen im Wesentlichen nicht unterscheiden und in zeitlicher Hinsicht miteinander verbunden werden können. Einzelanlässe, die insoweit an einen rechtzeitig eingeführten und durch bestimmte exilpolitische Aktivitäten gekennzeichneten Grundsachverhalt auf derselben Ebene anknüpfen und ihn mithin bloß fortschreiben, können "gesammelt" und auch noch nach Ablauf der Frist des § 51 Abs.3 VwVfG in das Verfahren eingeführt werden.

Solche - nicht abschließend - zu erörternden qualitativ nicht abweichenden Änderungen können etwa die an eine rechtzeitig eingeführte Demonstrationsteilnahme sich anschließenden Teilnahmen an weiteren gleichartigen Veranstaltungen sein. Gleiches gilt für die Teilnahme an Veranstaltungen, die bei wertender Betrachtungsweise von ihrem Niveau her vergleichbar sind, wie z. B. die Beteiligung an Informationsständen, Mahnwachen, Podiumsdiskussionen oder Seminaren. Etwas anderes wird aber dann zu gelten haben, wenn die fortgesetzten Veranstaltungsteilnahmen mit einem sog. Qualitätssprung verbunden sind, sich z. B. an die Demonstration ein Hungerstreik anschließt oder aber der Asylsuchende eine andere Rolle einnimmt, z. B. bei einer Podiumsdiskussion nunmehr als Redner auftritt. Qualitativ nichts anderes in oben beschriebenem Sinne ist z. B. auch das verspätete Geltendmachen von untergeordneten Tätigkeiten für eine Exilorganisation, wenn sich die Mitgliedschaft in einer Exilorganisation als Ausdruck aktiven exilpolitischen Tuns darstellt. Dann gehören sog. einfache Aktivitäten selbstverständlich zum Profil. Anders wird dies zu beurteilen sein bei bloß passiver Mitgliedschaft. Dies gilt ebenso, wenn später hervorgehobene Tätigkeiten wahrgenommen werden oder aber der Eintritt in eine andere Exilorganisation erfolgt. Solche Änderungen verlassen den bisherigen Rahmen und stellen sich als neue Ausdrucksform des politischen Engagements des Folgeantragstellers dar. Bei solchen Tatsachen, die sich qualitativ vom bisherigen Sachvortrag unterscheiden und dem Vorbringen des Asylsuchenden im Hinblick auf die geschützten Rechtsgüter nach Art. 16a GG, § 51 AuslG oder § 53 AuslG ein neues Gepräge geben, verbleibt es bei dem Grundsatz, dass die Ausschlussfrist zu beachten ist.

Zusammenfassend: An nur fortgesetzten Grundsachverhalten des rechtzeitig geltend gemachten Wiederaufgreifensgrundes gemäß § 51 Abs.1 Nr. 1 VwVfG nehmen auch verspätet in das Verfahren eingeführte Sachverhalte teil, mit denen an innerhalb der Drei-Monats-Frist vorgetragene, gleichartige oder qualitativ gleichwertige Geschehnisse angeknüpft wird. Insoweit zwingt § 51 Abs.3 VwVfG nicht dazu, die Einzelanlässe jedes Mal vor Ablauf von drei Monaten erneut (schriftsätzlich) in das Verfahren einzubringen (vgl. Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Loseblatt, Stand: September 2000, § 71 Rn. 120.2.; vgl. ähnlich Marx, Kommentar zum AsylVfG, 4. Auflage, § 71 Rn. 112; vgl. andererseits OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8. Mai 1995 - 25 A 2864/95.A - zitiert nach juris).

Aufgrund der vorgelegten Beweismittel und der Befragung der Klägerin zu 2. in der mündlichen Verhandlung ist der Senat davon überzeugt, dass sie sich in der von ihr beschriebenen Weise exilpolitisch betätigt hat. Im einzelnen sind folgende Feststellungen zu treffen:

Der Klägerin zu 2. ist darin zu folgen, dass sie seit (...) Mitglied der (...) ist, in der sie jedoch keine besondere Stellung eingenommen hat. Abgesehen von untergeordneten Aufgaben im organisatorischen Bereich, mit denen sie gelegentlich betraut worden ist, erschöpft sich ihre Mitgliedschaft im Besuch von Kongressen und Seminaren. Sie selbst hat sich bei ihrer Anhörung vor dem Senat auch nur als "normales" Mitglied bezeichnet. Einer weiteren Exilorganisation gehört die Klägerin zu 2. nicht an. Seit Beginn ihres durch den Eintritt in die Demokratische Organisation Vietnams nach außen hin sichtbar gewordenen politischen Engagements hat sie an einer Vielzahl von im einzelnen durch Bescheinigungen und Fotos belegten Kundgebungen und Diskussionsveranstaltungen teilgenommen, die als Ausdruck ihrer kritischen Einstellung gegenüber dem Regime in Vietnam gewertet werden dürfen, aber das einfache exilpolitische Milieu nicht verlassen. Denn insoweit ist nicht erkennbar, dass die Klägerin zu 2. hierbei in besonderer Weise hervorgetreten ist. Dies gilt auch für die Demonstration (...). Das von ihrem Bevollmächtigten übergebene Bildmaterial einschließlich des Videobandes weist sie auch hier nur als bloße Teilnehmerin aus. Die Tatsache, dass das Geschehen offenbar von vietnamesischem Sicherheitspersonal fotografiert worden ist, begründet keine andere Sicht der Dinge. Denn dies allein belegt nicht, dass gerade die Klägerin zu 2. hierdurch in identifizierbarer Weise erfasst worden ist.

Etwas anderes gilt aber für ihre beiden Protestbriefe. Mit diesen Briefen, die sich an die führenden Repräsentanten der Sozialistischen Republik Vietnams wenden und in denen die Klägerin zu 2. massive Kritik an Staat und Partei äußert, ist sie aus dem Schatten ihres ansonsten anonymen exilpolitischen Tuns herausgetreten. In dem Verfassen der Briefe erblickt der Senat eine politische Ausdrucksform der Klägerin zu 2., mit der sie den Rahmen ihrer ansonsten eher typischerweise einfachen exilpolitischen Betätigung verlässt und sich aus dem Kreis der in der Bundesrepublik lebenden vietnamesischen Staatsbürger hervorhebt. Denn anders als bei der Zeichnung von sogenannten Massenpetitionen, hat die Klägerin zu 2. hiermit auf ihre Person bezogen und in individueller Weise ihre Kritik gegenüber den Machthabern in Vietnam kundgetan.

Aufgrund der entwickelten und zu berücksichtigenden Exilaktivitäten hat die Klägerin zu 2. auch einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 51 Abs. 1 AuslG.

Die Klägerin zu 2. muss aufgrund ihres exilpolitischen Engagements in Vietnam mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Bestrafung wegen antisozialistischer Tätigkeit gemäß Art. 82 a. F./Art. 88 n. F. befürchten; ihr ist deshalb eine Rückkehr derzeit und auf absehbare Zeit nicht zumutbar.

Das geltende, vom vietnamesischen Parlament am 21. September 1999 verabschiedete und am 1. Juli 2000 in Kraft getretene Strafgesetzbuch (im Folgenden: VStGB) stellt auch politische Meinungsäußerungen und systemkritische oppositionelle Aktivitäten unter Strafe. Gegenüber den bisher für politische Straftaten insbesondere einschlägigen Bestimmungen der Art. 73 VStGB und 82 VStGB haben sich nur insoweit Änderungen ergeben, als diese Vorschriften in anderer Paragrafenfolge im geltenden Recht wiederkehren. Der hier interessierende Art. 82 VStGB a.F. stimmt nach der gutachterlichen Stellungnahme von Dr. Will mit Art. 88 VStGB n.F. überein; Änderungen im Wortlaut betreffen die Ersetzung des Begriffs "Sozialistisches System" durch "Volksmacht" (vgl. näher die gutachterliche Stellungnahme von Dr. Gerhard Will an das VG München vom 14. September 2000).

Art. 88 VStGB n. F. lautet:

1. Wer eine der nachstehend genannten Tatbestände der Propaganda gegen die Volksmacht erfüllt, wird mit Freiheitsstrafe von 3 bis 12 Jahren bestraft:

a) Propaganda zur Verleumdung der sozialistischen Gesellschaftsordnung;

b) Propaganda mittels psychologischer Kriegführung zur Verbreitung falscher Nachrichten und Anzettelung von Verwirrung in der Bevölkerung;

c) Produktion, Aufbewahrung und In-Verkehr-Bringen von inhaltlich gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung gerichteten Schriften und Druckerzeugnissen.

2. Bei besonders schwer wiegenden Straftaten wird eine Freiheitsstrafe von 10 bis 20 Jahren verhängt.

Nach wie vor können gemäß Art. 6 VStGB n.F. auch im Ausland begangene Verstöße gegen das vietnamesische Strafrecht geahndet werden.

Das Risiko, bei einer Rückkehr nach Vietnam wegen exilpolitischer Betätigungen bestraft zu werden, wird von den sachverständigen Stellen unterschiedlich beurteilt.

Die Auskunftslage lässt sich dahin gehend zusammenfassen, dass zwar eine einfache gegen das vietnamesische System gerichtete exilpolitische Betätigung durch Mitgliedschaft in Organisationen und die Beteiligung an Demonstrationen u. ä. nicht beachtlich wahrscheinlich eine Bestrafung zur Folge haben wird. Andererseits eine solche aber dann ernstlich in Betracht kommt, wenn vietnamesische Staatsangehörige mit ihren exilpolitischen Betätigungen besonders hervorgetreten sind und ihre Wirkung nicht auf das Ausland begrenzt geblieben ist.

Mit dieser Bewertung befindet sich der Senat in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 9. Oktober 1997 - 1 A 644/94.A - und Urteil vom 22. September 2000 - 1 A 2531/98.A -; Bayerischer VGH, Urteil vom 24. Juni 1997 - 8 B 96.35209 -, Urteil vom 16. März 1999 - 8 B 98.32023 -, Urteil vom 16. Dezember 1999 - 8 B 99.30921 - und Urteil vom 26. Oktober 1999 - 8 B 98.32362 -; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17. November 1997 - 11 A 12622/97.0VG - und Beschluss vom 20. Februar 1998 - UA 10366/98.0VG -; OVG des Saarlandes, Urteil vom 10. Februar 1999 - 9 R 18/97 -; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 3. Mai 1999 - 9 L 3865198 -; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. Januar 2000 - A 1 S 784198 -). Er schließt damit an die eigene Spruchpraxis an (vgl. Senatsurteile vom 22. Oktober 1996 - 3 KO 143/94 -, 16. Juni 1999 - 3 KO 230/94 - und vom 2. August 2001 - 3 KO 279/99 -) und bestätigt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts des fehlenden Verfolgungsrisikos bei nicht hervorgehobener exilpolitischer Betätigung.

Im Hinblick auf die Bemerkungen der Vorinstanz zur Öffentlichkeitswirkung der regimekritischen Tätigkeit im Urteil des Senats vom 22. Oktober 1996 - 3 KO 143/94 - sei in diesem Zusammenhang klargestellt: Der Ausdruck "Gesichtsverlust" ist im Senatsurteil vom 22. Oktober 1996 verwendet worden, um auf diese Weise die Verfolgungsgefahr für besonders exponierte Oppositionelle zu veranschaulichen (Umdruck S. 30, 1. Absatz am Ende). Eine exponierte exilpolitische Betätigung, die sich z. B. durch übersteigerte Systemkritik auszeichnet oder aber insbesondere darauf abzielt, das Herrschafts- und Machtmonopol der Kommunistischen Partei in Frage zu stellen, kann hiernach den die Gefahrenprognose nachhaltig bestimmenden "Gesichtsverlust" für die vietnamesischen Behörden bedeuten; nicht erforderlich ist, dass darüber hinaus - gleichsam als zusätzliche Voraussetzung - ein Bekanntwerden dieser Betätigung in breiten Kreisen Vietnams erforderlich ist. Letzteres wird nur ein weiterer Umstand sein, der vom vietnamesischen Staat als Gesichtsverlust angesehen wird.

Der Senat berücksichtigt für die abschließende Beweiswürdigung das beschriebene unterschiedliche Bestrafungsrisiko je nach Art und Umfang des exilpolitischen Engagements des Asylbewerbers und hält im speziellen Fall der Klägerin zu 2. danach eine politische Verfolgung bei einer Rückkehr nach Vietnam für überwiegend wahrscheinlich. Dies ergibt sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts aber nicht aus einer "Gesamtschau" der die Klägerin zu 2. betreffenden Umstände. Ebenso wenig vermögen eine Vielzahl unbedeutender Aktivitäten, die bei der Klägerin zu 2. zu erkennen sind, in ihrer Summe zu der erforderlichen Exponiertheit zu führen. Entscheidend sind vielmehr Gewicht und Wirkung der jeweiligen Beiträge. Insoweit lässt sich im Falle der Klägerin zu 2. - wie bereits erwähnt - feststellen, dass sie sich durch das Schreiben der beiden Briefe, in denen sie vor allem die Verletzung von Menschenrechten angeprangert, nach Freiheit und Demokratie verlangt und die Freilassung aller politisch Inhaftierten gefordert hat, in einer Art und Weise hervorgetan hat, die die Schwelle für ein Verfolgungsinteresse durch den vietnamesischen Staat überschreiten wird. Die Klägerin hat sich mit ihrer Regimekritik damit als Einzelperson geäußert und dadurch von vornherein in Kauf genommen, persönlich dafür zur Verantwortung gezogen zu werden.

Für die Verfolgungsprognose ist weiter von Gewicht, dass das exilkritische Tun der Klägerin zu 2. Wirkung bis nach Vietnam gezeigt hat. So ist die Klägerin dort in der Zeitung (...) vom (...), bei der es sich um das Zentralorgan des staatlichen Polizei- und Sicherheitsapparates handelt (vgl. Dr. Will, Gutachten für das Verwaltungsgericht Potsdam vom 14. Oktober 2001) namentlich und mit Bild öffentlich angeprangert worden. Ihr und drei weiteren Exilvietnamesen ist vorgeworfen worden,(...). Der Senat ist von der Echtheit dieses Zeitungsartikels und einem realen Hintergrund hierfür überzeugt. Die Klägerin zu 2. hat in der mündlichen Verhandlung eine vollständige Originalausgabe der Zeitung vorgelegt. Es liegt nahe, dass der Brief der Klägerin zu 2. vom (...), der zusammen mit einer Aufnahme von ihr anlässlich einer Demonstration in der Exilzeitschrift (...) veröffentlicht worden ist, Grund für die Anprangerung gewesen ist. Es fällt auf, dass die Aufnahme mit der in der Zeitung (...) mehr als ähnlich ist. Der Gutachter Dr. Will geht in seinem Gutachten für das Verwaltungsgericht Potsdam vom 14. Oktober 2001 davon aus, dass der Propagandaapparat von Partei und Regierung noch soweit intakt ist, dass über ihn nicht Artikel gegen Zahlung eines Bestechungsgeldes lanciert werden können.

Nach allem war deshalb im Ergebnis die erstinstanzliche Verpflichtung zum Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zu bestätigen.