OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.08.2019 - 29 M 88/19 - asyl.net: M27591
https://www.asyl.net/rsdb/M27591
Leitsatz:

Zwangsgeldandrohung gegen BAMF, wenn es einer Rückholverpflichtung nach unzulässiger Dublin-Überstellung nicht nachkommt: 

Kommt das BAMF seiner Verpflichtung nicht unverzüglich nach, eine zu Unrecht im Dublin-Verfahren überstellten Person aufgrund einer einstweiligen Anordnung zurückzuholen, ist eine Zwangsgeldandrohung auszusprechen. Ein erstes Tätigwerden ist der Behörde wenige Tagen nach Vollziehbarkeit der Rückholverpflichtung möglich und zumutbar.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Zwangsgeld, Abschiebung, Folgenbeseitigungsanspruch, Zwangsgeldandrohung,
Normen: VwGO § 172 S. 1, BGB § 121 Abs. 1 S. 1,
Auszüge:

[...]

Die Androhung eines Zwangsgeldes ist auch geboten. Das Zwangsgeldverfahren knüpft zum einen an den Umstand an, dass die Behörde der ihr auferlegten Verpflichtung nicht nachkommt (§ 172 S. 1 VwGO). Darüber hinaus setzt die Androhung eines Zwangsgeldes eine "grundlose Säumnis in der Erfüllung der vom Gericht auferlegten Pflichten" voraus (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15 Juni 2010 - 13 E 201/10 -, Rz. 6 m.w.N., juris).

So liegt es hier, weil die Vollstreckungsschuldnerin die Verpflichtung aus dem Beschluss vom 29. April 2019, dem Vollstreckungsgläubiger unverzüglich zu ermöglichen, auf Kosten der Vollstreckungsschuldnerin in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen, bislang nicht erfüllt hat. Zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt befindet sich der Vollstreckungsgläubiger immer noch in Italien.

Für die Nichterfüllung der Verpflichtung der Vollstreckungsschuldnerin über drei Monate nach Zustellung der einstweiligen Anordnung gibt es keine Rechtfertigung.

Die der Vollstreckungsschuldnerin auferlegte Verpflichtung ist dahingehend auszulegen, dass sie alle in ihrer Sphäre liegenden tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen muss, den Vollstreckungsgläubiger zurückzuholen. Aus der Maßgabe "unverzüglich" folgt zudem, dass ihr nur ein schuldhaftes Zögern vorgeworfen werden kann (vgl. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB) (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. August 2018 - 17 B 729/18 -, Rz.4, juris).

Danach hat die Vollstreckungsschuldnerin nicht alles derzeit in ihrer Macht Stehende unternommen, um die Rückholung des Vollstreckungsgläubigers zu erwirken. Die Vollstreckungsschuldnerin ist überhaupt erst über drei Wochen nach Zustellung des Beschlusses tätig geworden. Die italienische Dublin-Einheit wurde am 24. Mai 2019 erstmalig per E-Mail kontaktiert, nachdem - ebenfalls unter dem 24. Mai 2019 - die interne Kostenübernahmezusage eingeholt worden war. Das war nicht unverzüglich. Selbst bei Einrechnung einer gewissen Überlegungsfrist wäre ein Tätigwerden spätestens Anfang der zweiten Maiwoche möglich und zumutbar gewesen. Es gab keinen vertretbaren Grund, die Anfrage an die italienische Dublin-Einheit bis zum 24. Mai 2019 zurückzustellen. Wie der Kammer bekannt ist, werden Aufnahme- und Wiederaufnahmegesuche in Dublin-Verfahren regelmäßig noch am Tag der Anhörung gestellt. Bis die italienischen Behörden an die Beantwortung der Anfrage erinnert und die Liaisonbeamtin in Italien beauftragt wurden, verstrichen sodann weitere fruchtlose dreieinhalb Wochen (E-Mails vom 17. Juni 2019). Auch diese weitere Verzögerung war nicht gerechtfertigt. Es ist im Hinblick auf' die seit dem 2. Mai 2019 vollziehbare Rückholverpflichtung nicht nachzuvollziehen, warum die Erinnerungs-Mail nicht schon eine Woche später an die italienische Dublin-Einheit geschickt und auch die Liaisonbeamtin nicht früher eingeschaltet wurde.

Die anschließenden Bemühungen der Liaisonbeamtin sind bis heute erfolglos geblieben. Soweit die Vollstreckungsschuldnerin einwendet, dies liege außerhalb ihres Verantwortungsbereichs, vermag sie damit nicht durchzudringen. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sie alle in ihrer Sphäre liegenden tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um den Vollstreckungsgläubiger aus Italien zurückzuholen. Zu der vom Vollstreckungsgläubiger angeregten Ausstellung eines Reiseausweises bzw. Notreiseausweises oder zur Möglichkeit eines "deklaratorischen Visums", das zeitlich eng befristet und allein für die Wiedereinreise gültig ist, und durch Herantreten des Bundesamts an das Auswärtige Amt veranlasst werden könnte (vgl. dazu OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8 Juli 2010 - OVG 3 S 26.10 - Rz. 11, juris) hat sich die Vollstreckungsschuldnerin nicht geäußert. Den eingereichten Unterlagen ist auch nicht zu entnehmen, dass überhaupt andere Maßnahmen zur Rückholung des Vollstreckungsschuldners in Betracht gezogen wurden. Das wäre aber naheliegend gewesen, da der Vollstreckungsschuldnerin aus den Dublin-Verfahren bekannt sein muss, dass die italienische Dublin-Einheit auf Anfragen regelmäßig nicht reagiert. Jedenfalls hätte die Vollstreckungsschuldnerin spätestens dann andere Maßnahmen ergreifen müssen, als, wie sie selbst mit Schreiben vom 24. Juli 2019 mitgeteilt hat, die zuständige Questura in ... und die zuständige Dublin-Einheit in Italien auch auf die mehrfache Kontaktaufnahme durch die Liaisonbeamtin nicht antworteten. Das gilt umso mehr, als in Italien die Sommerpause bevorstand. Die Rückholung scheitert auch nicht am Vollstreckungsschuldner. Er befindet sich nach wie vor an der aktenkundigen Adresse und wirkt an seiner Rücküberstellung aktiv mit.

Bei der Festsetzung der Höhe des Zwangsgeldes, die im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht, orientiert sich das Gericht an dem entsprechenden Antrag des Vollstreckungsgläubigers. Für die Auswahl der Höhe kommt es allein auf die Prognose an, welcher Betrag erforderlich ist, um den Schuldner zur Rechtstreue zu bewegen. Im Hinblick darauf, dass die Vollstreckungsschuldnerin nicht gänzlich untätig geblieben ist, erscheint die Androhung eines Zwangsgeldes i.H.v. 1000,- Euro mehr als angemessen und zugleich geboten, um die Vollstreckungsschuldnerin zu einer unverzüglichen Erfüllung anzuhalten.

Schließlich kann der Vollstreckungsschuldnerin in Anbetracht der bereits verstrichenen Zeit billigerweise zugemutet werden, ihrer bestehenden Verpflichtung, dem Vollstreckungsgläubiger die Wiedereinreise zu ermöglichen, nunmehr binnen sieben Tagen nach Zustellung dieser Entscheidung nachzukommen. [...]