VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 24.04.2019 - 1 K 2520/17.WI.A - asyl.net: M27598
https://www.asyl.net/rsdb/M27598
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für psychisch erkrankte Person hinsichtlich Kosovo:

"1. Pflege und Betreuung von psychisch kranken Menschen findet im Kosovo in der Regel in der Familie statt.

2. Einzelfall eines an Schizophrenie vom paranoid-halluzinatorischen Typ erkrankten Ausländers, der unter Betreuung steht und der nicht in der Lage ist, ohne Hilfe im Alltag zurechtzukommen."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Kosovo, psychische Erkrankung, Abschiebungsverbot, Schizophrenie, paranoide Schizophrenie, Betreuung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Behandlung psychischer Erkrankungen, auch der des Klägers, im Kosovo möglich und zumutbar ist. Die Behandlung von psychischen Erkrankungen wird im öffentlichen Gesundheitssystem in neun regionalen Gesundheitszentren ("Mental Health Care Centres", MHCs) durchgeführt, die sich in den Städten Peja/Pec, Prizren, Ferizaj/Urosevac, Gjilan/Gnjilane, Gjakova/Djakovica, Mitrovica (Süd), Skenderaj/Srbica, Podujevo und Pristina befinden. Patienten, die einer stationären Behandlung bedürfen, werden in den vier Regionalkrankenhäusern Gjilan/Gnjilane, Peja/Pec, Prizren und Gjakova/Djakovica in den Abteilungen für stationäre Psychiatrie sowie in der Psychiatrischen Klinik der Universitätsklinik Pristina behandelt. In diesen Regionalkrankenhäusern stehen ausreichende Bettenkapazitäten zur Verfügung. Diese Einrichtungen verfügen jeweils über eine angeschlossene psychiatrische Ambulanz mit ambulanter fachärztlicher Betreuung.Privatpraxen für Psychiatrie bzw. Neurologie finden sich in ganz Kosovo. Der Preis für die Durchführung einer Gesprächstherapie beträgt zwischen 10 und 20 Euro. Die behandelnden Ärzte verfügen mindestens über eine Qualifikation als Neuropsychiater. Einige Ärzte haben zusätzliche Fachkenntnisse im Ausland erworben bzw. nehmen an Schulungsmaßnahmen teil, die NROs in Kosovo v.a. zur Behandlung von Trauma-Patienten anbieten. Hinzu kommt, dass freiwillige Rückkehrer sowie Zurückgeführte aus Deutschland bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung/Traumatisierung unmittelbar nach ihrer Ankunft kostenlos die Hilfs- und Unterstützungsleistungen des Kosovo-Rückkehrer-Projekts URA II in Anspruch nehmen können (vgl. Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG vom 3. März 2018, Seite 23 ff.).

Die Pflege und Betreuung von psychisch kranken Menschen findet allerdings in der Regel innerhalb der Familie statt (Bl. 24 des Berichts vom 3. März 2018), wie auch in dem Bundesamtsbescheid vom ... 2017 ausgeführt wird. Vor diesem Hintergrund existieren in Kosovo nur einige staatliche Pflege- und Fürsorgeeinrichtungen mit wenigen Plätzen. Die sogenannten Integrationshäuser verfügen über insgesamt 70 Pflegeplätze. Über die Aufnahme entscheidet eine Kommission; die Chance einen Platz zu erhalten, hängt bei Vorliegen der Aufnahmevoraussetzungen vom jeweiligen Auslastungsgrad der Einrichtung zum Zeitpunkt der tatsächlichen Rückkehr ab. [...]

Das Gericht ist nach alledem davon überzeugt, dass der Kläger schwer psychisch krank ist und dass sich sein Gesundheitszustand bei einer Rückkehr in den Kosovo wesentlich verschlimmern würde. Denn die ärztlicherseits festgestellten Erkrankungen lassen einen gesundheitlichen Gesamtzustand erkennen, der eine psychiatrische Behandlung indiziert. Sein Gesundheitszustand führt dazu, dass er nicht in der Lage ist, seinen Alltag zu organisieren und die notwendige medizinische Behandlung und Medikation sicherzustellen. Er ist auf die Hilfe anderer angewiesen.

Entscheidend ist vorliegend, dass die Pflege und Betreuung innerhalb der Familie im Kosovo nicht gewährleistet ist. Die Familie des Klägers lebt in Deutschland; die Mutter und der Bruder verfügen über eine Fiktionsbescheinigung (vgl. Bl. 10 R der Akte 1 L 3544/17.WI.A). Seine Schwester ist in Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, da sie mit einem Deutschen verheiratet ist. Das bedeutet letztendlich, dass der Familienverband bei einer Rückkehr im Kosovo nicht mehr so zur Unterstützung des Klägers zu Verfügung stehen würde wie bei einem Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland. Vorliegend müsste sich der volljährige Kläger, der in Deutschland geboren ist und ohne Unterbrechung hier gelebt hat, ohne hinreichende Kenntnis der Sprache und ohne Unterstützung seiner Familie im Kosovo zurechtfinden. Gegen die Annahme, dass er dies könnte, spricht zudem die hier in der Bundesrepublik Deutschland angeordnete Betreuung des Klägers.

Angesichts der wenigen Plätze, die für psychisch kranke Personen ohne Familienangehörige zur Verfügung stehen, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei Rückkehr in den Kosovo die erforderliche Hilfe und Unterstützung erfahren würde, um die krankheitsbedingten Gesundheits- oder Lebensgefahren auf ein zumutbares Maß reduzieren zu können. [...]