VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 13.02.2019 - 19 A 3512/18 - asyl.net: M27608
https://www.asyl.net/rsdb/M27608
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung für Frau aus Eritrea, wenn keine Einberufung zum militärischen Nationaldienst droht:

Frauen droht durch die Einberufung zum militärischen Nationaldienst in Eritrea grundsätzlich geschlechtsspezifische Verfolgung durch sexuellen Missbrauch in den Ausbildungszentren. Schwangere Frauen und Mütter sind von der Ableistung des militärischen Nationaldienst faktisch befreit. Ihnen droht daher auch keine solche asylrelevante Verfolgung.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Eritrea, Frauen, Mutterschaft, Schwangerschaft, Nationaldienst, geschlechtsspezifische Verfolgung, Aufstockungsklage, Upgrade-Klage, soziale Gruppe,
Normen: AsylG § 3
Auszüge:

[...]

34 bb) Nationaldienstpflichtigen Frauen droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in militärischen Trainingscentren sexuelle Gewalt (vgl. auch VG Arnsberg, Urt. v. 27.6.2018, 12 K 3982/16.A, juris Rn. 44; VG Schwerin, Urt. v. 8.12.2017, 15 A 1278/17 As SN, juris Rn. 36), und zwar in Anknüpfung an ihre Zugehörigkeit zur Gruppe der Frauen als soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 letzter Halbsatz AsylG (dazu (1)) durch Akteure im Sinne des § 3c AsylG (dazu (2)), wobei zwischen der Verfolgungshandlung und dem Verfolgungsgrund der Gruppenzugehörigkeit die gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung besteht (dazu (3)), es sei denn die Frauen sind - wie im Fall der Klägerin - wegen einer Schwangerschaft oder Mutterschaft faktisch demobilisiert bzw. vom Einsatz in militärischen Trainingscentren befreit (dazu (4)). [...]

45 (4) Die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im 8. Monat schwangere Klägerin hat jedoch eine geschlechtsspezifische Verfolgung der vorstehend beschriebenen Art nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten. Mütter oder Schwangere werden gänzlich demobilisiert oder jedenfalls faktisch weder zum militärischen Teil des Nationaldienstes noch zur vorgelagerten militärischen Ausbildung herangezogen. Aufgrund der formal fortbestehenden Nationaldienstpflicht auch für faktisch Demobilisierte, bleibt die Einziehung zum Nationaldienst zwar per se möglich, insoweit jedoch - allein - in den zivilen Bereich wahrscheinlich. [...]

48 Dieser Quellenauswertung schließt sich die Kammer an und betont, dass aufgrund der fehlenden Beurkundung einer rein faktischen Demobilisierung grundsätzlich mangels "Entlassungspapieren" die Gefahr einer Wiedereingliederung in den (aktiven) Dienst besteht. Eine Gefahr der Remobilisierung lässt sich jedoch für den militärischen Einsatzbereich nicht erkennen. Den Ausführungen der hierzu einschlägigen Quelle (Dr. Bozzini in: National Service and State Structures in Eritrea, 16.2.2012, S. 9 [G 3/12]) kann zwar entnommen werden, dass eine Remobilisierung im Ergebnis nicht kategorisch ausgeschlossen werden kann. Den Ausführungen fehlt es jedoch an der notwendigen Unterscheidung zwischen dem militärischen und zivilen Einsatzbereich, wenn es dort heißt:

49 "[…] Some women with children were in the National Service. But there’s certainly no systematic practice to remobilize mothers.”

50 Denn Frauen mit Kindern werden im zivilen Teil des Nationaldienstes eingesetzt (vgl. Kibreab, The Open-Ended Eritrean National Service: The Driver of Forced Migration, 2014, S. 11 [G 3/14]). Dass Frauen bei einem Einsatz im zivilen Teil des Nationaldienstes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit sexuelle Gewalt zu befürchten haben, ist nicht erkennbar. [...]