LG Heilbronn

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Zitieren als:
LG Heilbronn, Beschluss vom 09.09.2019 - Ri 1 T 107/19 - asyl.net: M27619
https://www.asyl.net/rsdb/M27619
Leitsatz:

Zur Unverzüglichkeit der richterlichen Anhörung bei spontaner Abschiebungshaft:

Bei einer durch die Behörde spontan vollzogenen Ingewahrsamnahme zum Zwecke der Abschiebung muss die betroffene Person unverzüglich dem Gericht vorgeführt werden. Wird eine Person um 4:15 Uhr festgenommen, muss bis spätestens 16:00 Uhr desselben Tages eine richterliche Anhörung stattfinden. Verzögerungen aus sachlichen Gründen müssen dokumentiert werden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Überstellungshaft, Anhörung, Richter, Vorführung, Unverzüglichkeit,
Normen: GG Art. 104 Abs. 2 S. 2, AufenthG § 62 Abs. 5 S. 2,
Auszüge:

[...]

Die zulässige Beschwerde des Betroffenen ist ganz überwiegend begründet.

1. Die Freiheitsentziehung des Betroffenen in der Zeit vom 17.01.2019, 16:00 Uhr, bis zum Anhörungstermin am 18.01.2019, gegen 09:00 Uhr, hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG).

Gemäß Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG hat über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden. Eine Freiheitsentziehung setzt danach grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung voraus. Ist ausnahmsweise eine nachträgliche richterliche Entscheidung erforderlich, ist nach Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Entsprechend ist in § 62 Abs. 5 Satz 2 AusIG bestimmt, dass der Ausländer unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen ist. Unverzüglich ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (BVerfG Beschluss vom 15.05.2002, 2 BVR 2292/00). Unvermeidbare Verzögerungen sind von den an der freiheitsentziehenden Maßnahme beteiligten staatlichen Organen zu dokumentieren. Nur so kann gewährleistet werden, dass der von der Maßnahme in seinen subjektiven Rechten Betroffene den Rechtsweg in effektiver Weise beschreiten und bei einer späteren gerichtlichen Überprüfung noch festgestellt werden kann, ob aus sachlich zwingenden Gründen vom Gebot der Herbeiführung einer unverzüglichen richterlichen Entscheidung abgesehen werden durfte (BVerfG Beschluss vom 19.01.2007, 2 BvR 1206/04, LG Traunstein, Beschluss vom 03.11.2017, 4 T 1910/17, 4 T 1944/17, 4 T 2003/17).

Vorliegend wurde am 17.01.2019 nach der Festnahme des Betroffenen gegen 04:15 Uhr zu einem Zeitpunkt vor 12:28 Uhr gegenüber dem Amtsgericht Heilbronn die Übersendung eines Haftantrags in der Abschiebehaftsache angekündigt. Mit der zuständigen Richterin wurde Termin zur Anhörung des Betroffenen auf den Folgetag, 09:00 Uhr, vereinbart. Der Haftantrag lag um 12:28 Uhr beim Amtsgericht vor. Der Betroffene befand sich im Gewahrsam der Polizei in Lauffen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb eine Anhörung des Betroffenen an diesem Tag bis 16:00 Uhr nicht möglich war. Verzögerungen aus sachlichen Gründen, die zu dokumentieren sind, ergeben sich aus den Akten nicht. Der Betroffene hätte daher nicht auf Veranlassung der zuständigen Ausländerbehörde bis zur Vorführung am nächsten Tag beim Amtsgericht festgehalten werden dürfen.

Dass es nach der Anhörung des Betroffenen bis zum Erlass der Haftanordnung zu einer weiteren Verzögerung kam, kann nicht angenommen werden. Die Entscheidung erging noch am selben Tag unmittelbar nach der Anhörung. Der Feststellungsantrag war daher insoweit zurückzuweisen. [...]