VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.08.2019 - 12 S 430/19 - asyl.net: M27639
https://www.asyl.net/rsdb/M27639
Leitsatz:

Keine Kostentragungspflicht der Betroffenen für Kosten der Dublin-Überstellung:

"1. Bei der Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG handelt es sich um die Anordnung einer Überstellung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und c der Dublin-DVO. Diese Überstellung unterfällt als Form der Abschiebung dem Anwendungsbereich der §§ 66, 67 AufenthG.

2. Den Kostenregelungen nach den §§ 66, 67 AufenthG liegt das Veranlasser- bzw. Verursacherprinzip zugrunde. Danach setzt der Asylbewerber durch seine irreguläre Weiterwanderung in einen anderen Mitgliedstaat und mit dem Unterlassen seiner freiwilligen Ausreise in den für ihn zuständigen Mitgliedstaat, welche im Rahmen des Dublin-Verfahrens dem Asylbewerber bei entsprechender Initiative aus Gründen der Verhältnismäßigkeit in Form einer selbst organisierten Überstellung ermöglicht werden kann und muss, den maßgeblichen Beitrag zur Entstehung der Kosten.

3. Die Heranziehung eines Asylbewerbers nach den §§ 66, 67 AufenthG zu den Kosten seiner Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat im Rahmen des Dublin-Verfahrens wird aber durch Art. 30 Abs. 1 und Abs. 3 der Dublin III-VO ausgeschlossen. Die Kostenfreistellung nach Art 30 Abs. 3 Dublin III-VO gilt sowohl für die unmittelbaren Kosten der Durchführung der Abschiebung (wie den Flugkosten) als auch für Kosten, die im Zusammenhang mit der Überstellung entstehen (Transport zum Flughafen, Papierbeschaffung, Begleitung)."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Überstellung, Abschiebung, Abschiebungskosten, Kosten, Kostenerstattung, Abschiebungsanordnung,
Normen: AufenthG § 66, AufenthG § 67, VO 604/2013 Art. 30 Abs. 1, VO 604/2013 Art. 30 Abs. 3, VO 604/2013 Art. 29 Abs. 1, Dublin-DVO Art. 7 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

2) Die Heranziehung eines Asylbewerbers nach den §§ 66, 67 AufenthG zu den Kosten seiner Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat im Rahmen des Dublin-Verfahrens wird aber durch die Regelungen der Dublin III-Verordnung ausgeschlossen. [...]

Gemäß Art. 30 Abs. 1 Dublin III-VO sind die Kosten für die Überstellung eines Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedstaat von dem überstellenden Mitgliedstaat - hier der Bundesrepublik Deutschland - zu tragen. Nach Art. 30 Abs. 3 Dublin III-VO dürfen die Überstellungskosten nicht den nach dieser Verordnung zu überstellenden Personen auferlegt werden. Aus dieser - als rechtspolitisch verfehlt und mit dem Grundsatz der Kostenveranlassung durch irreguläre Weiterwanderung und Missbrauch des Asylrechts unvereinbar - kritisierten Regelung (so etwa Hailbronner aaO § 66 AufenthG Rn. 26) folgt, dass für Dublin-Abschiebungen ohne Rücksicht auf das Verhalten des Asylbewerbers von diesem keine Kosten erhoben werden dürfen.

a.) Dies entspricht allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts. So hatte der EuGH bereits im Jahr 2012 entschieden, dass die finanziellen Belastungen aufgrund der Anforderungen, die sich für einen Mitgliedstaat daraus ergeben, dass er dem Unionsrecht nachkommen muss, in der Regel den Mitgliedstaat treffen, der diese Anforderungen zu erfüllen hat, sofern das Unionsrecht nichts anderes bestimmt (EuGH, Urteil vom 27.09.2012 - C 179/11 - Cimade und GISTI - juris Rn. 59). [...]

b.) Artikel 30 Dublin III-VO stellt allerdings abschließend klar, dass die Kosten der Überstellung unter keinen Umständen der überstellenden Person aufzuerlegen sind (Hruschka/Maiani in Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2nd Edition 2016, Seite 1582 Rn. 1). Ein solches striktes Normverständnis lässt sich auch der Kommentierung des European Council on Refugees and Exiles (ECRE) zu Art. 30 Dublin III-VO vom März 2015 entnehmen, nachdem es dort heißt: "ECRE welcomes the clarification that applicants for international protection are not required to meet the costs of transfer under the recast Dublin Regulation. ECRE reminds Member States that the financial burden of reception conditions ist borne by the transferring Member State until the applicant concerned is actually transferred to the responsible Member State als requrired in the CJEU judgment of Cimade, GISTI v. Ministre de l`ìnterieur, de l´Outremer, des Collectivites territoriales et de l`Immigration". [...]

c.) Dem steht auch Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO nicht entgegen. Dieser sieht vor, dass die Überstellung des Asylbewerbers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Abs. 1 Buchst. c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der betreffenden Mitgliedstaaten erfolgt. Mit seinem Verweis auf die innerstaatlichen Rechtsvorschriften bringt Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO zum Ausdruck, dass im Dublin-System im Hinblick auf das konkrete Verfahren der Aufenthaltsbeendigung beziehungsweise der Überstellung keine abschließende, ins Einzelne gehende Regelung getroffen wird. Dabei soll insbesondere der Komplex des Verwaltungsvollzugs und dessen Ausgestaltung in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten gestellt werden. Der Regelung lässt sich aber nicht entnehmen, dass auch bei der Kostentragung abweichende nationale Kostenregelungen getroffen werden dürfen.

Einer solchen Auslegung würde auch die Systematik der Normen widersprechen. Sowohl Art. 29 als auch Art. 30 sind im Abschnitt VI der Dublin III-VO unter der Überschrift "Überstellung" enthalten. Während Art. 29 Dublin III-VO die Modalitäten und Fristen der Überstellung regelt und dort eine Art Öffnungsklausel für nationale Vorschriften vorsieht, enthält Art. 30 Dublin III-VO, der sich mit den Kosten der Überstellung befasst, eine solche Bestimmung gerade nicht. Art 31 Dublin III-VO, bei welchem es um den Austausch relevanter Informationen vor Durchführung einer Überstellung geht, sieht einen Austausch personenbezogene Daten der zu überstellenden Person vor, um den zuständigen Behörden im zuständigen Mitgliedstaat gemäß dem innerstaatlichen Recht zu ermöglichen, diese Person in geeigneter Weise und in angemessener Frist zu unterstützen. Art. 32 Dublin III-VO regelt den Austausch von Gesundheitsdaten vor Durchführung der Überstellung, soweit der zuständigen Behörde gemäß dem innerstaatlichen Recht entsprechende Informationen vorliegen. Beide Normen eröffnen dem nationalen Gesetzgeber insoweit einen gewissen Spielraum für eigene Regelungen. In Art. 33 Dublin III-VO, der einen Mechanismus zur Frühwarnung, Vorsorge und Krisenbewältigung vorsieht, fehlt eine Bezugnahme auf nationale Vorschriften bzw. innerstaatliches Recht hingegen wieder. Nach der Systematik der Normen in Abschnitt IV der Dublin III-Verordnung spricht deshalb alles dafür, dass sich eine Öffnungsklausel für nationale Vorschriften oder der Bezug auf innerstaatliches Recht nur auf den jeweiligen Artikel beziehen soll, hingegen den Mitgliedstaaten keine generelle Möglichkeit zu abweichenden nationalen Vorschriften eröffnet ist. [...]