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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 21.08.2019 - V ZB 138/18 - asyl.net: M27682
https://www.asyl.net/rsdb/M27682
Leitsatz:

Kein neuer Haftgrund ohne Anhörung im Beschwerdeverfahren:

Das Beschwerdegericht kann den vom Amtsgericht bejahten Haftgrund grundsätzlich nur nach einer Anhörung der Betroffenen durch einen neuen Haftgrund austauschen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Überstellungshaft, Haftgrund, Haftgründe, Haftantrag, Begündung,
Normen: AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 aF, AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

1. Der von dem Amtsgericht angenommene Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aF (heute: § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) bestand nicht. Bei diesem Haftgrund muss die vollziehbare Ausreisepflicht auf der unerlaubten Einreise beruhen. An der Ursächlichkeit der unerlaubten Einreise für die vollziehbare Ausreisepflicht fehlt es, wenn der Betroffene - wie hier - nach seiner Einreise einen Asylantrag gestellt hat und ihm deshalb nach § 55 Abs. 1 AsylG der Aufenthalt im Bundesgebiet zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet ist (Senat, Beschluss vom 28. Oktober 2010 - V ZB 210/10, InfAuslR 2011, 71 Rn. 19; Beschluss vom 10. Januar 2019 - V ZB 159/17, juris Rn. 19 mwN).

2. a) Der von dem Beschwerdegericht herangezogene Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG aF ist verfahrensfehlerhaft festgestellt worden und daher nicht geeignet, die Zurückweisung der Beschwerde zu tragen. Denn es handelt sich um einen neuen Haftgrund; auf einen solchen kann das Beschwerdegericht seine Entscheidung nicht stützen, ohne den Betroffenen hierzu persönlich angehört zu haben (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juni 2017 - V ZB 21/17, FGPrax 2017, 231 Rn. 8; Beschluss vom 16. Februar 2017 - V ZB 10/16, juris Rn. 9; Beschluss vom 7. Juli 2016 - V ZB 21/16, FGPrax 2016, 278 Rn. 6; vgl. dagegen für die Änderung eines Anhaltspunkts für eine Fluchtgefahr nach § 2 Abs. 14 AufenthG aF: Senat, Beschluss vom 23. Januar 2018 - V ZB 53/17, FGPrax 2018, 135 Rn. 7).

b) Einer erneuten Anhörung durch das Beschwerdegericht bedarf es zwar ausnahmsweise dann nicht, wenn der Sachverhalt, aus dem sich der neue Haftgrund ergibt, von dem Amtsgericht geprüft und festgestellt worden ist und der Betroffene Gelegenheit hatte, sich dazu persönlich zu äußern (vgl. Senat, Beschluss vom 9. November 2017 - V ZB 15/17, juris Rn. 7). So war es hier aber nicht. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Betroffene von dem Amtsgericht zu dem Vorwurf gehört worden ist, er habe sich der für den 17. Mai 2017 angesetzten Abschiebung entzogen. Das Protokoll der Anhörung ist unergiebig. Die in dem berichtenden Teil der Beschlüsse vom 15. und 16. Mai 2018 enthaltene Angabe, der Abschiebungstermin vom ... Mai 2017 sei dem Betroffenen mit Schreiben vom ... Mai 2017 angekündigt worden, er sei aber untergetaucht und habe zu seinem tatsächlichen Aufenthalt während des Abschiebungstermins keine Angaben machen können, gibt nicht das Ergebnis der Anhörung wieder, sondern - wörtlich - die Begründung der beteiligten Behörde aus dem Haftantrag vom 14. Mai 2018. Hinzu kommt, dass der Haftrichter im Beschluss vom 15. Mai 2018 ausgeführt hat, eine Haftanordnung könne nicht darauf gestützt werden, dass der Betroffene am ... Mai 2017 nicht in seiner Unterkunft angetroffen worden sei. Deshalb wird dieser Sachverhalt in der einen Tag später erfolgten Anhörung im Hauptsacheverfahren keine Rolle gespielt haben, so dass der Betroffene sich dazu nicht äußern konnte. [...]