VG Chemnitz

Merkliste
Zitieren als:
VG Chemnitz, Urteil vom 15.03.2019 - 2 K 2023/17.A - asyl.net: M27695
https://www.asyl.net/rsdb/M27695
Leitsatz:

Keine Verfolgungsgefahr mehr für Unterstützer der ONLF in Äthioien:

1. Seit dem Regierungswechsel im April 2018 hat sich die Situation für die politische Opposition deutlich verbessert. Die ONLF und weitere Organisationen wurden von der Terrorliste gestrichen und Tausende von politischen Gefangenen freigelassen. Zahlreiche auch hochrangige Oppositionelle sind aus dem Ausland zurückgekehrt.

2. Die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Volksgruppen, u.a. zwischen Oromos und Somalis, haben nicht das Ausmaß eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: ONLF, Ogaden National Liberation Front, Äthiopien, Somali-Region, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Vorverfolgung,
Normen: AsylG § 4, RL 2011/95 Art. 4 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

Die politische Situation in Äthiopien hat sich für Regierungsgegner und Oppositionelle bereits seit Anfang 2018 deutlich entspannt. Mit Amtsantritt des neuen Premierministers Dr. Abiy Ahmed am 02.04.2018 hat sich die seit Jahren bestehende, düstere Atmosphäre allgemeiner politischer Stagnation und Anspannung durch erste Zeichen einer politischen Öffnung deutlich aufgehellt. Bereits seit Anfang des Jahres waren noch unter der Vorgängerregierung erste Schritte einer politischen Öffnung unternommen worden. In der ersten Jahreshälfte 2018 wurden ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte bzw. verdächtigte Personen vorzeitig entlassen. Oppositionsparteien wurden eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren, und entkriminalisiert (Ad-hoc Bericht des Auswärtigen Amtes über die asylund abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien, Stand: September 2018, S. 6). Im Juli 2018 wurde die Einstufung der OLF, ONLF und Ginbot 7 als terroristische Organisationen durch das Parlament aufgehoben. Sie wurden entkriminalisiert. Die ONLF hat zudem im August 2018 einen einseitigen Waffenstillstand erklärt (Ad-hoc Bericht des Auswärtigen Amtes, a.a.O., S. 9, 11 und 19). Seitdem sind führende Persönlichkeiten dieser und der weiteren entkriminalisierten Organisationen aus dem Exil zurückgekehrt und wurde ein Teil tatsächlicher oder vermeintlicher ONLF-Mitglieder oder Sympathisanten aus dem Gefängnis entlassen. Außerdem haben tatsächliche und vermeintliche ONLF-Mitglieder derzeit keine Reaktionen der äthiopischen Behörden zu befürchten, weder in Addis Abeba noch im Regionalstaat Somali (Bericht des Staatssekretariats für Migration SEM der Schweiz, Focus Äthiopien Der politische Umbruch 2018, S. 23-25, abrufbar unter www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/eth/ETH-politscher-umbruch-d.pdf). Mit Gesetz vom 20. Juli 2018 wurde ferner allen Äthiopiern, die wegen Verrats, Verbrechen gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder bewaffneten Widerstands verurteilt wurden oder Objekt von Ermittlungen sind, die Möglichkeit der Amnestie eingeräumt (vgl. Ad-hoc Bericht des Auswärtigen Amtes, a.a.O., S. 11). Durch die Amnestie für alle politischen Vergehen soll den Oppositionellen ermöglicht werden, eine friedliche politische Karriere in Äthiopien zu verfolgen. [...]

Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die Arbeit des neuen Premierministers mit Rückschlägen und Gegenwind verbunden ist (vgl. hierzu VG Regensburg, Urt. v. 13.11.2018 - RO 2 K 17.32132 juris). Die weiterhin vereinzelten Anschläge und Gewaltakte in Äthiopien vermögen jedoch an der Einschätzung des Gerichts zur politischen Verfolgung nichts zu ändern. Die Gewaltakte finden zum einen im Wesentlichen in der Somali-Region statt. Dabei handelt es sich vorwiegend um andauernde bzw. schwelende ethnische Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen (Ad-hoc Bericht des Auswärtigen Amtes, a.a.O., S. 6), aber gerade nicht um konkret-individuelle Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG wegen politischer Aktivitäten Einzelner (VG Regensburg, Urt. v. 13.11.2018, a.a.O.). [...]