Beschränkung des Geltungsbereichs eines Passes
1. Die Beschränkung des Geltungsbereichs eines Passes nach § 8 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 und Abs. 2 Satz 1 PassG ist ein Dauerverwaltungsakt, für dessen Rechtmäßigkeit es auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ankommt.
2. Die Sicherung der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit der für die Außenpolitik verantwortlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland ist ein sonstiger erheblicher Belang im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 PassG.
3. Für die Anwendung der Vorschrift des § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 PassG reicht es aus, wenn zwischen der Ausreise, für die der Passbewerber bzw. Passinhaber den Pass benötigt, und der Gefährdung eines Belangs in einem weiten Sinne ein Kausalzusammenhang besteht; eine unmittelbare Verursachung ist nicht erforderlich.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
17 Dem Regelungszusammenhang der hier maßgeblichen materiellen Bestimmungen des § 8 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 und Abs. 2 Satz 1 PassG und des § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG lässt sich entnehmen, dass es für den Erfolg einer gegen die befristete Beschränkung gerichteten Anfechtungsklage - und damit auch für denjenigen einer an deren Stelle getretenen Fortsetzungsfeststellungsklage - entgegen der Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts allein auf die zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung gegebene Sach- und Rechtslage ankommt. [...]
18 [...] In der erstgenannten Hinsicht kann es für die Feststellung der maßgeblichen Sachlage und der aus ihr abzuleitenden Prognose nur auf den Sach- und Erkenntnisstand in dem Zeitpunkt ankommen, in dem die Maßnahme getroffen wurde (für das Gefahrenabwehrrecht allgemein: BVerwG, Urteile vom 26. Februar 1974 - 1 C 31.72 - BVerwGE 45, 51 <60> und vom 1. Juli 1975 - 1 C 35.70 - BVerwGE 49, 36 <42 f.>). Ebenso hat sich die gerichtliche Nachprüfung einer behördlichen Ermessensentscheidung, sofern sich - wie hier - aus dem materiellen Recht nichts Abweichendes ergibt, nach Maßgabe des § 114 Satz 1 VwGO auf den Zeitpunkt der Ausübung des Ermessens zu beziehen (BVerwG, Urteil vom 27. März 2019 - 6 C 2.18 [ECLI:DE:BVerwG: 2019:270319U6C2.18.0] - juris Rn. 10). [...]
20 aaa. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist seit Jahrzehnten geklärt, dass die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Ausreisefreiheit auch durch den Passversagungsgrund des § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 PassG als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung wirksam eingeschränkt wird. Vorausgesetzt wird dabei mit Blick auf die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sowie die erforderliche Bestimmtheit und die Verhältnismäßigkeit der Norm eine enge Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der sonstigen erheblichen Belange der Bundesrepublik Deutschland. Es muss sich um Belange handeln, die in ihrer Erheblichkeit den Belangen der inneren und äußeren Sicherheit nach der ersten bzw. zweiten Alternative des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG wenn auch nicht gleich-, so doch nahekommen, und die so gewichtig sind, dass sie der freiheitlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland aus zwingenden staatspolitischen Gründen vorangestellt werden müssen (grundlegend zu der im wesentlichen inhaltsgleichen Vorgängerbestimmung des § 7 Abs. 1 Buchst. a PassG 1952: BVerfG, Urteil vom 16. Januar 1957 - 1 BvR 253/56 - BVerfGE 6, 32 <42 f.> im Anschluss an das seinerzeit mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Februar 1956 - 1 C 41.55 - BVerwGE 3, 171 <176>).
21 Ein derartiger Belang der Bundesrepublik Deutschland von herausragender Gewichtigkeit ist die Sicherung der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit ihrer für die Gestaltung der Außenpolitik verantwortlichen Organe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt das Grundgesetz den im außenpolitischen Bereich zum politischen Handeln berufenen Organen - insbesondere der Bundesregierung - einen breiten Raum politischen Ermessens, das heißt einen sehr weiten Spielraum im Hinblick auf die Einschätzung außenpolitisch erheblicher Sachverhalte und die Zweckmäßigkeit möglichen Verhaltens (BVerfG, Beschlüsse vom 7. Juli 1975 - 1 BvR 274/72 u.a. - BVerfGE 40, 141 <178> und vom 16. Dezember 1980 - 2 BvR 419/80 - BVerfGE 55, 349 <365>). [...]
23 Das Oberverwaltungsgericht hat die dem angegriffenen Beschränkungsbescheid zu Grunde liegenden Tatsachen durch eine Gesamtbewertung der seinerzeit vorliegenden sicherheitsbehördlichen Informationen und auf der Grundlage der durch das Verwaltungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere der Vernehmung des bei dem Bundesnachrichtendienst tätigen Zeugen H., festgestellt. Danach gab es - unabhängig von dem in Afghanistan und in der Provinz Kunduz für Ausländer generell bestehenden Entführungsrisiko - einen tragfähigen Hinweis auf die Absicht einer Gruppe von Aufständischen, konkret die Klägerin zu entführen. Ein wirksamer Schutz der Klägerin vor einer solchen Entführung war nicht gegeben. Bei einer Entführung von Ausländern in Afghanistan war stets damit zu rechnen, dass deren Herkunftsstaaten mit erpresserischen Forderungen der Entführer zur Zahlung von Lösegeld oder zur Vornahme bestimmter Handlungen konfrontiert werden würden. Gestützt auf diese Tatsachen war die Prognose gerechtfertigt, dass die Klägerin entführt und die Bundesrepublik Deutschland von den Entführern erpresst werden könnte. Dadurch hätte sich hinsichtlich der Klägerin die Pflicht der für die Gestaltung der Außenpolitik verantwortlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland zur Gewährung von Auslandsschutz aktualisiert. Durch diesen Umstand wäre deren weite außenpolitische Entscheidungs- und Handlungsfreiheit eingeschränkt worden. Diese Konsequenzen hat das Oberverwaltungsgericht durch den Verweis auf drohende diplomatische Spannungen und einen eventuell erforderlichen erheblichen Einsatz sicherheitspolitischer und diplomatischer Ressourcen umschrieben. [...]
25 ccc. Der angegriffene Beschränkungsbescheid war nicht deshalb rechtswidrig, weil die weitere Konkretisierung und etwaige Verwirklichung der hier in Rede stehenden Gefährdung nicht schon durch die Klägerin selbst mit ihrer Ausreise und ihr Verhalten im Ausland bewirkt worden wäre. Denn der von § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG geforderte Zurechnungszusammenhang wird nicht dadurch unterbrochen, dass die Gefährdung erst durch afghanische Aufständische mittels Entführung der Klägerin und anschließender Erpressung der Bundesrepublik Deutschland im Sinne der Grundsätze des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts über die Störerhaftung unmittelbar verursacht worden wäre (zu der Theorie der unmittelbaren Verursachung als Zurechnungsprinzip im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht zusammenfassend: BVerwG, Beschluss vom 12. April 2006 - 7 B 30.06 - juris Rn. 4; aus der Literatur etwa: Götz/Geis, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 16. Aufl. 2017, § 9 Rn. 10 ff.). Dass das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auf die Rechtsfigur einer passgesetzspezifischen Gesamtbetrachtung abgestellt hat, ist überflüssig, aber unschädlich.
26 In dem spezialgesetzlich geregelten ordnungsrechtlichen Bereich des Passrechts können Grundsätze des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts - mithin auch diejenigen über die Störerhaftung - nur insoweit (ergänzende) Anwendung finden, als das Passgesetz keine eigenständige und abschließende Regelung enthält (zum spezialgesetzlichen Ausschluss der allgemeinen Störerhaftungsregeln: BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2007 - 7 C 40.07 - Buchholz 406.27 § 58 BBergG Nr. 1 Rn. 8; Götz/Geis, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 16. Aufl. 2017, § 9 Rn. 8). Die Verantwortlichkeit für die Gefährdung sonstiger erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 PassG ist indes in dieser Vorschrift eigenständig und abschließend geregelt.
27 Für eine Anwendung der allgemeinen polizei- und ordnungsrechtlichen Störerhaftungsregeln zwecks Bestimmung des Adressaten einer auf § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 PassG gestützten Maßnahme besteht bereits nach dem eindeutigen Normwortlaut kein Raum. Adressat der Maßnahme kann danach allein der Passbewerber bzw. - i.V.m. § 8 PassG - der Passinhaber sein.
28 Eine Heranziehung der Zurechnungsregeln des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts in dem Sinne, dass der Passbewerber bzw. Passinhaber nur dann zur Abwehr einer Gefährdung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 PassG in Anspruch genommen werden darf, wenn er auch unmittelbarer Verursacher und damit Störer nach den Regeln des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts ist, kommt ebenfalls nicht in Betracht.
29 Zwar erweist sich der Wortlaut der Vorschrift, demzufolge nach einer durch Tatsachen begründeten Annahme der Passbewerber bzw. der Passinhaber die sonstigen erheblichen Belange gefährden muss, noch als ambivalent. Hiernach muss - was für den vorliegenden Fall nicht in Zweifel steht - zwischen der Ausreise, für die der Betreffende den Pass benötigt, und der Gefährdung des Belangs jedenfalls in einem weiten Sinne ein Kausalzusammenhang bestehen. Ein darüber hinausgehendes Verständnis als Vorgabe einer unmittelbaren Verursachung wird von dem Normwortlaut nicht gefordert, wäre allerdings mit ihm vereinbar.
30 Gesetzessystematisch lässt sich die Forderung nach einer unmittelbaren Verursachung der Rechtsgutverletzung durch den Passbewerber bzw. den Passinhaber indes schon nicht mehr begründen. Dem Umstand, dass die in § 7 Abs. 1 Nr. 2 bis 11 PassG geregelten Passversagungsgründe durchweg auf Gefahren abstellen, die von den Betroffenen unmittelbar verursacht werden, kommt insoweit keine Bedeutung zu. Bei § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 PassG handelt es sich um eine eigenständig strukturierte Vorschrift, mit einem von den konkreten Verhältnissen des Betroffenen unabhängigen Schutzgut.
31 Entscheidend gegen das Erfordernis einer unmittelbaren Verursachung mit der hier in Rede stehenden Bedeutung spricht der Sinn und Zweck des § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 PassG. Die Vorschrift verlagert mit dem Ziel einer effektiven Gefahrenabwehr den Schutz der Rechtsgüter, für den sie geschaffen wurde, in einen Bereich vor, der noch uneingeschränkt der deutschen Hoheitsgewalt unterliegt. Denn dann, wenn sich die Gefährdung im Ausland unmittelbar zu realisieren droht bzw. tatsächlich realisiert, besteht wegen des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips und aus tatsächlichen Gründen keine effektive Zugriffsmöglichkeit für deutsche Stellen mehr. [...]
34 eee. Aus internationalem bzw. europäischem Recht kann die Klägerin keine weitergehenden Rechte für sich herleiten. Dies gilt insbesondere für Art. 2 Abs. 2 ZP IV EMRK, wonach es jeder Person freisteht, jedes Land, einschließlich des eigenen, zu verlassen. Die Ausübung dieses Rechts darf gemäß Art. 2 Abs. 3 ZP IV EMRK Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft - unter anderem zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - notwendig sind. Dass hiernach der Eingriff in das Recht der Klägerin aus Art. 2 Abs. 2 ZP IV EMRK durch die streitgegenständliche befristete Passbeschränkung gemäß Art. 2 Abs. 3 ZP IV EMRK gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig ist, unterliegt nach den bisherigen Erörterungen keinem Zweifel. [...]