VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 07.03.2019 - 6 A 238/17 - asyl.net: M27712
https://www.asyl.net/rsdb/M27712
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung wegen drohender politischer Verfolgung in der angespannten und instabilen Situation in Burundi in den letzten Jahren.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Burundi, Hutu, Tutsi, politische Verfolgung, Flüchtlingsanerkennung,
Normen: Asyl § 3,
Auszüge:

[...]

Nach diesen Maßstäben hat der Kläger einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) glaubhaft gemacht, dass er Burundi unter dem Druck erlittener Verfolgung durch staatliche Akteure verlassen hat und dass ihm bei seiner bei Rückkehr nach Burundi mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht.

Seine Angaben in der mündlichen Verhandlung waren glaubhaft und nachvollziehbar. Der Kläger hat die Umstände seiner Verhaftung und die Anwerbeversuche von Seiten des Regimes detailliert und überzeugend geschildert. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll vom 7. März 2019 Bezug genommen. Seine Angaben stimmen auch mit den Erkenntnissen des Gerichts über Burundi überein.

So wurde am 29. Oktober 2016 in Bujumbura der regimetreue Major Désiré Uwamahoro, eine der Schlüsselfiguren der gewaltsamen Repression in Burundi, vom Geheimdienst verhaftet.

Désiré Uwamahoro ist der berüchtigte Kommandant einer Sondereinheit der Polizei zur Aufstandsbekämpfung (BAE). Er soll für eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein. 2012 wurde er wegen Folter von Zivilisten zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, musste die Haftstrafe jedoch nie antreten. Gemäß seriösen Quellen soll Uwamahoro auf der UN-Liste mutmaßlicher Hauptverantwortlicher für begangene Menschenrechtsverletzungen in Burundi stehen.

Seine Verhaftung steht jedoch nicht in Zusammenhang mit diesen Verbrechen. Es soll dabei vielmehr um einen Konflikt im Rohstoffhandel gehen. Die genaueren Umstände des heiklen Dossiers sind noch unklar (so ökumenisches Netz Zentralafrika = oenz.de v.2.11.2016).

Zur Lage in Burundi hat das Verwaltungsgericht Braunschweig in seinem Urteil vom 29. August 2018 (- 7 A 284/16 -, juris) ausgeführt:

"Eine nachträgliche Änderung der Sachlage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ist anzunehmen, da sich die Sicherheitslage in Burundi seit der Ankündigung Präsident Nkurunzizas am 26.04.2015, für eine dritte Amtszeit zu kandidieren, erheblich verschlechtert hat (wie hier VG Hannover, Urteil vom 30. September 2015 - 1 0 A 10743/14 - zitiert nach juris; VG Braunschweig, Urteil vom 28.10.2016 - 7 A 107/16 -). Nach einer Reisewarnung des Auswärtigen Amtes vom 28.09.2015 kam es "seit dem 26.04.2015 (...) im Stadtgebiet von Bujumbura fast täglich zu Demonstrationen. Betroffen waren die nördlichen Bezirke Nyakabiga, Cibitoke, Buterere und Mutakura, sowie im Süden Bujumburas die Bezirke Musaga, Kinindo und Kinanira. Demonstranten errichteten dort Straßensperren und hinderten Passanten an der Durchfahrt. Diese Demonstrationen sind durch Polizeieinsätze, auch unter Einsatz von Schusswaffen und Handgranaten, beendet worden. Seither kommt es allerdings im gesamten Stadtgebiet Bujumburas und zuletzt auch in anderen Landesteilen an öffentlichen Plätzen zu Anschlägen mit Handgranaten. Ziele waren häufig Busbahnhöfe, Taxistände oder lokale Restaurants. Nachts patrouillieren Polizei und Armee in den o.g. Stadtvierteln und setzen Schusswaffen ein. In den betroffenen Stadtbezirken kommt das öffentliche Leben komplett zum Stillstand, im übrigen Bujumbura ist es erheblich beeinträchtigt. Spannungen werden auch aus anderen Landesteilen, insbesondere aus Ngozi, Kirundo, Ijenda/Mwaro und Matana gemeldet. Internet und Mobiltelefonnetz sind teilweise unterbrochen. Weitere Demonstrationen sind zu erwarten. Die Präsenz der Sicherheitskräfte in der Innenstadt und den Zufahrtsstraßen wurde deutlich erhöht. Im Zusammenhang mit den Wahlen ist mit politisch motivierter Gewalt zu rechnen. Es wird dringend geraten, sich von öffentlichen Demonstrationen wie von Parteiversammlungen und politischen Kundgebungen fernzuhalten und öffentliche politische Aussagen zu unterlassen.

Im Übrigen besteht in Burundi auch weiterhin die Gefahr terroristischer Anschläge. Die Drohungen der somalischen Al-Shabaab-Miliz mit Vergeltungsaktionen als Reaktion auf die Beteiligung des burundischen Militärs an der AMISOM-Mission in Somalia sind ernst zu nehmen. Besondere Vorsicht und Wachsamkeit ist deshalb beim Besuch von öffentlichen Einrichtungen mit potentiellem Symbolcharakter geboten. Es wird empfohlen, Menschenansammlungen (Märkte, Busbahnhöfe und Straßenbars) zu meiden und abendliche Ausgänge auf das Notwendige zu beschränken."

Eine etwaige Stabilisierung der Lage ist bis heute nicht eingetreten. Nach den Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtige Amtes (gültig seit 09.07.2018) ist die Sicherheitslage in Burundi aufgrund der instabilen innenpolitischen, wirtschaftlichen und kritischen menschenrechtlichen Lage unübersichtlich und angespannt. In der Hauptstadt Bujumbura könne es jederzeit zu gewaltsamen, politisch motivierten Auseinandersetzungen kommen. Gezielte Angriffe auf Angehörige des Regimes und der Sicherheitskräfte sowie Akteure der Zivilgesellschaft mit Schusswechseln und Angriffe unter Einsatz von Kriegswaffen könnten ohne Vorwarnung ausbrechen. So sei es zuletzt am 17. Mai 2017 zu einem Anschlag in Bujumbura gekommen, bei dem drei regierungsnahe Personen getötet worden seien. Aufgrund der sich rasant verschlechternden wirtschaftlichen und humanitären Lage der Bevölkerung seien Akte von Gewaltkriminalität (Raubüberfälle, Plünderungen) mit entsprechenden Gegenreaktionen der Sicherheitskräfte nicht auszuschließen.

Insgesamt haben Burundis Fortschritte in Richtung Demokratie und Stabilität seit Beginn der Ausschreitungen am 26. April 2016 deutliche Rückschläge erlitten. Politische Unruhen, Tötungen durch Sicherheitskräfte und die Ergreifung bewaffneter Oppositionsgruppen dominieren seither das Land (vgl. zu alledem Human Rights Watch Jahresbericht Burundi vom 12.02.2016). Den Beginn der Unruhen bildete die Ankündigung, dass Präsident Nkurunziza für eine dritte Amtszeit kandidieren würde. Es folgten Proteste in der Hauptstadt Bujumbura und breiteten sich schnell landesweit aus.

Nachdem Präsident Nkurunziza im Juli 2015 wiedergewählt wurde, kam es zu einer Verschärfung der beschriebenen Lage. In Bujumbura folgten verstärkt Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Regierungsgegnern. Im Juli 2015 wurden Presseberichten zur Folge mindestens 26 Polizisten getötet und viele weitere verletzt.

In der Folgezeit gab es anhaltende Berichte über eine bewaffnete Rebellion. Grenzüberschreitende Überfälle im Grenzgebiet zu Ruanda führten zu Zusammenstößen zwischen Bürgern und Sicherheitskräften, insbesondere in den Provinzen Kayanza und Cibitoke. Im August und September erschossen unbekannte Täter mehrere bekannte Persönlichkeiten in Bujumbura, einschließlich Adolphe Nshimirimana, des ehemaligen Leiters der Nachrichtendienste; Jean Bikomagu, den ehemalige Armeechef des Generalstabs; und Patrice Gahungu den Sprecher der Union für Frieden und Entwicklung Zigamibanga (UPD) der Oppositionspartei, deren Präsident, Zedi Feruzi, bereits im Mai getötet worden ist.

Insbesondere am 11. Dezember 2015 kam es vermehrt zu willkürlichen Angriffen mit einer Vielzahl ziviler Opfer. Laut Amnesty International seien an dem Tag mindestens 21 Menschen in Nyakabiga und mindestens 12 wurden in Musaga getötet worden. Auch in den Vierteln Jabe und Ngagara zahlreiche Opfer zu verzeichnen gewesen. Nach Auffassung der politischen Opposition sowie ziviler Quellen scheint die Dunkelziffer der Opfer noch weitaus höher zu liegen. Seit 26. April 2015 - dem Beginn der Ausschreitungen - seien mindestens 400 Menschen getötet und weitere 3.496 Menschen seien im Zusammenhang mit der politischen Krise festgenommen worden. Das Land verzeichnet seither über 220.000 Menschen, die als Flüchtlinge in die Nachbarländer geflohen sind und seither mit anderen Binnenvertriebenen in Flüchtlingslagern leben (OHCHR - UN Office of the High Commissioner for Human Rights vom 17.12.2015, abrufbar unter: www.ohchr.org; Amnesty International vom 29.01.2016, Burundi: Suspected Mass graves of Victims of 11. December Violence).

Insbesondere die Präsidentschaftswahlen im Sommer 2015 haben den politischen Konflikt - auch in Bezug auf die Journalistenverfolgung - weiter vorangetrieben. Die Regierung ist bereits im Vorfeld der Präsidentschaftswahl mit zunehmendem Eifer gegen die private Berichterstattung und an ihr beteiligte Akteure vorgegangen. So blockierten unter anderem die Behörden Medienberichten zu Folge den mobilen Zugang zu sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter sowie zum Kurznachrichtendienst WhatsApp. Zuvor hatten sie mehrere Radiosender zur Einstellung ihrer Berichterstattung über die Proteste gezwungen. Amnesty International berichtet auch von willkürlichen Angriffen auf Journalisten, die nicht an eine tatsächliche oppositionelle Betätigung anknüpfen, sondern schon den Wohnort als Anlass genügen lassen. Zunehmend richten sich diese Übergriffe auch auf Menschenrechtsverteidiger und unabhängige Journalisten. In der Presse wird von unvermittelten Vorladungen von Journalisten, von Hausdurchsuchungen sowie Beschlagnahmen in Redaktionsräumen und Wohnhäusern berichtet (vgl. reporters without borders, Bericht vom 02.02.2016, abrufbar unter: en.rsf.org/burundi-rsf-demands-release-of-two-foreign-29-01-2016,48786.html). Auch körperliche Übergriffen auf Journalisten sind bekannt (vgl. reporters without borders Bericht vom 11.11.2015, abrufbar en.rsf.org/burundi-burundian-government.steps-up-11-09-025,48335.html).unter: en.rsf.org/burundi-burundian-government.steps-up-11-09-025,48335.html). Die burundische Regierung drängt die private - unabhängige - Berichterstattung immer weiter zurück. Der Konflikt eskalierte, als im Januar 2016 verschiedene Fernseh- und Radiosender angegriffen und zerstört worden sind (vgl. Lapepeche.fr vom 21.01.2016, abrufbar unter: www.ladepeche.fr/ar- ticle/2015/05/14/2104557-burundi-radios-ettelevision-attaquees-par-des-partisans-denkurunziza.html) (vgl. VG Stade, Urteil v. 4. Februar 2016 - 3 A 3042/13).

Nach dem Amnesty Report 2017 ist die Lage durch ein Klima der Angst mit zunehmenden Unterdrückungsmaßnahmen und weiterhin bestehender Straflosigkeit geprägt. Nach dem Amnesty Report Burundi 2017/18 vom 23.05.2018 treffen nach wie vor Meldungen ein, denen zufolge u.a. der SNR, die Polizei und das Militär Häftlinge, die im Verdacht standen, der Opposition anzugehören, folterten und auf andere Weise misshandelten. Derartige Menschenrechtsverletzungen hätten keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich gezogen. Es würden nach wie vor Menschen willkürlich festgenommen und inhaftiert, so unter anderem auch bei Aktionen der Polizei in den sogenannten oppositionellen Stadtteilen von Bujumbura."

Dieser Lageeinschätzung schließt sich auch das erkennende Gericht nach Auswertung der jüngsten Erkenntnisse über Burundi an. Nach dem Country Report on Human Rights Practices 2017 - Burundi des US Department of State haben bewaffnete Elemente der Imbonerakure Menschenrechtsverletzungen nach Instruktionen oder Anweisungen von Offiziellen des SNR, der Polizei, der Armee und des Präsidentenbüros begangen, aber auch unabhängig von übergeordneten Stellen agiert. Mitglieder von Imbonerakure entführten oder verhafteten Personen, obwohl sie dazu gesetzlich nicht befugt waren. Sie schlugen, folterten und töteten Menschen straflos und übergaben häufig Personen dem SNR oder der Polizei, ein Anzeichen, dass diese ihr Verhalten kannten und nicht bestraften. Besonders gezielt ausgesucht wurden Personen, die als Mitglieder der politischen Opposition wahrgenommen wurden. Auch polizeiliche Übergriffe waren weit verbreitet und erfolgten straflos.

Diese Einschätzung bestätigt auch Human Rights Watch (World Report 2019 - Burundi v. 19.1.2019) unter Hinweis darauf, dass der Nationale Sicherheitsrat Burundis am 27. September 2018 eine dreimonatige Suspendierung von internationalen NGO's verkündet hat. Eine von den Vereinten Nationen beauftragte Untersuchungskommission berichtete im September 2018, dass schwerwiegende Menschrechtsverletzungen, einschließlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit, in den Jahren 2017 und 2018 fortgesetzt wurden. [...]