VG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 16.09.2019 - 11 B 137/19 - asyl.net: M27722
https://www.asyl.net/rsdb/M27722
Leitsatz:

Versagung der Ausbildungsduldung nur, wenn Mitwirkungspflichtverletzung alleinige Ursache für Nichtvollzug der Abschiebung:

1. Kommt eine ausreisepflichtige Person einer Mitwirkungspflicht bei der Passbeschaffung nicht nach, stellt dies nur dann einen Grund für die Versagung der Ausbildungsduldung und Beschäftigungserlaubnis gemäß § 60a Abs. 6 AufenthG dar, wenn dies die alleinige Ursache dafür ist, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihr nicht vollzogen werden können. Dies ist dann nicht der Fall, wenn die Mutter der betroffenen minderjährigen Person noch nicht ausreisepflichtig ist. Denn dann ist eine Abschiebung unabhängig von der Mitwirkung bei der Passbeschaffung nicht möglich.

2. Es ist im vorliegenden Fall daher nicht entscheidungserheblich und bleibt offen, ob die Ableistung des Wehrdienstes in Armenien als Voraussetzung für die Passausstellung zumutbar ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Beschäftigungserlaubnis, Ausbildung, Berufsausbildung, Armenien, Passbeschaffung, Militärdienst, Mitwirkungspflicht, aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Versagungsgrund,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2 S. 4, AufenthG § 4 Abs. 2 S. 3, BeschV § 32, AufenthG § 60a Abs. 2 S. 3, AufenthG § 60a Abs. 6 S. 2, AufenthG § 60a Abs. 2, GG Art. 6, EMRK Art. 8, AufenthG § 60a Abs. 6 S. 2, AsylG § 38 Abs. 1 S. 2,
Auszüge:

[...]

6 Gemäß § 60a Abs. 2 S. 3 AufenthG kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Eine Duldung in diesem Sinne ist zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat, die Voraussetzungen nach Absatz 6 nicht vorliegen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen.

7 Gemäß § 60a Abs. 6 AufenthG darf einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können. Ausweislich des Ablehnungsbescheides der Antragsgegnerin vom 24.07.2019 liegen die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 S. 3 AufenthG vor. Der Anspruch scheitere laut gleichnamigen Bescheids allein daran, dass es dem Antragsteller zuzumuten sei, die Ausstellung eines neuen Nationalpasses dadurch zu erwirken, dass er zunächst den dafür erforderlichen Wehrdienst in Armenien leiste. Indem er dies nicht tue, habe er im Sinne des § 60a Abs. 6 AufenthG zu vertreten, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen – mangels gültigem Nationalpass – bei ihm nicht vollzogen werden können. Dem ist nicht zu folgen. Unabhängig von der Frage der Zumutbarkeit der Ableistung des Wehrdienstes in Armenien zur Ermöglichung der Passausstellung stehen der Abschiebung des Antragstellers bis zu seiner Volljährigkeit bereits anderweitige rechtliche Gründe i.S.d. § 60a Abs. 2 AufenthG entgegen. Hinsichtlich der Mutter des Antragstellers dauert das asylrechtliche Klageverfahren noch an. Ihr Asylantrag wurde mit Bescheid vom 13.01.2018 abgelehnt und die dagegen gerichtete Klage ist derzeit unter dem Az. 16 A 420/19 noch anhängig. Für die Dauer des laufenden Klageverfahrens gegen die Ablehnung ihres Asylantrages  sowie darauffolgender 30 Tage ist die Mutter nach § 38 Abs. 1 S. 2 AsylG nicht ausreisepflichtig. Der minderjährige Antragsteller müsste folglich ohne seine Mutter abgeschoben werden, worin ein Eingriff in Art. 6 GG, Art. 8 EMRK zu sehen wäre. Voraussetzung für die Feststellung eines zwingenden Versagungsgrundes ist aber in allen von § 60a Abs. 6 S. 2 AufenthG erfassten Fällen, dass das Verhalten des Ausländers alleinige Ursache dafür ist, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können (OVG Münster, Beschluss vom 18. 01. 2006 - 18 B 1772/05, NVwZ-RR 2007, 60, 61). Kommt daher eine Abschiebung schon aus anderen, nicht im Verantwortungsbereich des Ausländers liegenden Gründen nicht in Betracht, ist die Vorschrift nicht anwendbar (BeckOK AuslR/Kluth/Breidenbach, 23. Ed. 01.08.2019, AufenthG § 60a Rn. 55). So liegt es hier. Ein Verweis auf eine etwaige unterbliebene Mitwirkung an der Passausstellung kommt nicht Betracht, da der Antragsteller bereits mit Blick auf das laufende Klageverfahren der Mutter nicht (alleine) abgeschoben werden könnte.

8 Auch ein Anspruch auf Erteilung der Beschäftigungserlaubnis gemäß § 4 Abs. 2 S. 3 AufenthG i.V.m. § 32 BeschV ist überwiegend wahrscheinlich. Bei Vorliegen der Voraussetzungen und Nichtvorliegen der Ausschlussgründe des § 60a Abs. 2 S. 4, Abs. 6 AufenthG ist das Ermessen der Behörde bezüglich der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG im Regelfall intendiert (Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 15. Februar 2018 – 3 B 2137/17 –, juris Rn. 12). Die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 4, Abs. 6 AufenthG liegen – wie ausgeführt wurde – hier vor. Es liegt auch kein Fall vor, in dem ausnahmsweise ein Ermessen vorläge, um zu verhindern, dass der Antragsteller für unterbliebene Mitwirkungshandlungen belohnt würde (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.07.2019, – 4 MB 112/18 –, nicht veröffentlicht). Es würde zu widersprüchlichen Ergebnissen führen, wenn – wie hier – möglicherweise unterbliebene Mitwirkungshandlungen bei der Prüfung § 60a Abs. 6 AufenthG zwar unberücksichtigt bleiben müssen, diese im Rahmen der Prüfung des § 4 Abs. 2 S. 3 AufenthG i.V.m. § 32 BeschV hingegen doch rechtliche Bedeutung erlangen. Angesichts dessen besteht auch ein Anspruch auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis. [...]