Flüchtlingsschutz für Sunnit*innen bei Verfolgung durch PMF-Miliz im Irak:
1. Sunnit*innen droht im Irak eine Verfolgung durch die schiitische PMF-Miliz aufgrund der Religionzugehörigkeit.
2. Personen, die im Irak für westliche Unternehmen gearbeitet haben, die mit den von den USA geführten Multi-National Force-Iraq (MNFI) kooperierten, bilden eine soziale Gruppe.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Die Kläger waren nach Überzeugung des Gerichts vor ihrer Ausreise aus dem Irak aufgrund ihrer sunnitischen Religion, der Kläger zu 1) darüber hinaus wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppen von Verfolgungsmaßnahmen bedroht, die nach § 3 Abs. 1 AsylG geeignet sind, Flüchtlingsschutz zu begründen [...]
Diese rechtlichen Maßstäbe vorangeschickt, liegen im Falle des Klägers zu 1) die Voraussetzungen einer Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer besonderen sozialen Gruppe vor (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 5 AsylG), bezüglich aller Kläger sind außerdem die Voraussetzungen einer religiösen Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 AsylG gegeben. Der Einzelrichter ist aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung sowie weiterhin unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnismittel zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger zu 1) aufgrund seiner ehemaligen langjährigen beruflichen Tätigkeit für westliche Unternehmen, die mit den von den USA geführten Multi-National Force-Iraq (MNFI) zusammenarbeiteten und alle Kläger aufgrund ihrer sunnitischen Glaubenszugehörigkeit, durch Angehörige schiitischer Milizen mit dem Tode bedroht sind. [...]
Die dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel belegen, dass Personen im Irak im Einzelfall wegen einer (zurückliegenden) Zusammenarbeit mit ausländischen Streitkräften oder (Sicherheits-)Unternehmen durch Mitglieder schiitischer Milizen verfolgt werden können. [...]
Hinzu kommt hier, dass die Familie der Kläger aufgrund ihrer sunnitischen Religionszugehörigkeit von Angehörigen schiitischer Milizen verfolgt wurden, nachdem der Kläger zu 1) es ablehnte, einem Angehörigen der Miliz Hilfe zu leisten und die Kläger dadurch in das Visier der Miliz gerieten. [...]
Bei den der PMF zugehörigen Milizen handelt es sich um staatliche Organisationen im Sinne des § 3c Nr. 1 AsylG. [...] Der irakische Staat bedient sich der der PMF zugehörigen schiitischen Milizen zur Herrschaftsausübung, weil er sie unter dem Dachverband der PMF in die offizielle Struktur der irakischen Sicherheitskräfte eingegliedert sind und die schiitischen Milizen überdies finanziell sowie mit Waffen unterstützt [...].
Die Kläger könnten sich schließlich auch dann nicht auf wirksamen staatlichen Schutz berufen, sofern man die ihnen drohende Verfolgung durch Milizangehörige als eine Verfolgung von sonstigen nichtstaatlichen Akteuren im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG einstufen würde. Der irakische Staat sowie die in § 3c Nr. 2 AsylG genannten Akteure sind nämlich, wie dargestellt, erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung durch Angehörige der PMF zu bieten, da ein effektiver Schutz von Gewaltanwendungen durch Milizen im Irak nicht gegeben ist. [...]
Die Kläger befinden sich aufgrund der vorangegangenen Geschehnisse in einer derart vulnerablen Situation, dass von ihnen nicht vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich in einem anderen Landesteil des Irak niederlassen. Wirksamer interner Schutz vor den im Irak einflussreichen schiitischen Milizen steht den Klägern dort nicht zur Verfügung. [...]