SG Oldenburg

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Zitieren als:
SG Oldenburg, Beschluss vom 06.06.2019 - S 26 AY 11/19 ER - asyl.net: M27750
https://www.asyl.net/rsdb/M27750
Leitsatz:

Kausalität für Aufenthaltsdauer bei fehlender Passbeschaffung:

1. Keine Leistungskürzungen wegen Mitwirkungspflichtverletzung.

2. Das objektiv (und eventuell auch subjektiv) "rechtsmissbräuchliche" Verhalten der Nichtbeschaffung eines Nationalpasses kann sich im Fall serbischer Staatsangehöriger bei sonst geklärter Staatsangehörigkeit zu keiner Zeit nennenswert auf die Aufenthaltsdauer ausgewirkt haben, da Rückführungen nach Serbien aufgrund des Rückführungsabkommens auch ohne Pass möglich sind.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Serbien, Rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer, Sozialleistungen, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Kürzung, Passbeschaffung, Mitwirkungspflicht, Kausalität, Rückführungsabkommen, Rückübernahmeabkommen, Ausreisepflicht, Sozialrecht,
Normen: AsylblG § 1a, AsylbLG § 2,
Auszüge:

[...]

Zwar führt ein objektiv nach generell abstrakten Maßstäben zu beurteilendes, bewusstes Verhalten des Leistungsberechtigten, das nicht andauern muss, zum dauerhaften Ausschluss von Vergünstigungen.

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist dabei jedoch im Besonderen zu beachten (vgl. Krauß in: Siefert AsylbLG § 2 Rn. 38). Insoweit ist anerkannt, dass ein für sich genommenes sozialwidriges Verhalten dann keine Berücksichtigung findet, wenn aus anderen Gründen der Aufenthalt nicht hätte beende! werden können (dies. a.a.O., m.w.N.). Ein solcher Fall ist hier nicht ersichtlich.

Dennoch ist im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die besondere Situation des Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland zu berücksichtigen. Vorliegend erscheint unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei einer Aufenthaltsdauer in der BRD seit Geburt mit lediglich einer unwesentlichen zeitlichen Unterbrechung und derzeit weiterhin nicht absehbarer Beendigung des Aufenthalts eine dauerhafte Kürzung des Existenzminimums als unverhältnismäßig. Insbesondere da auch bei einem nunmehr rechtstreuen Verhalten es zu keiner Leistungsänderung käme. Denn das objektiv und evtl. sogar subjektiv rechtsmissbräuchliche Verhalten der Nichtbeschaffung eines Nationalpasses kann sich im Falle eines serbischen Staatsangehörigen bei sonst geklärter Staatsangehörigkeit zu keiner Zeit nennenswert auf die Aufenthaltsdauer ausgewirkt haben. Zwar reicht für die Kausalität i.S.d. "Beeinflussung" nach § 2 AsylbLG eine "typisierende", "generell-abstrakte Betrachtungsweise". Es reicht demnach aus, dass das Fehlverhalten generell geeignet ist, die Aufenthaltsdauer zu beeinflussen, und zwar unabhängig davon, ob es tatsächlich zu einer Aufenthaltsverlängerung geführt hat oder nicht (Oppermann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 2 AsylbLG 1. Überarbeitung, Rn. 83). Ein Kausalzusammenhang im eigentlichen Sinne ist nicht erforderlich (Deibel in Hohm, AsylbLG § 2 Rn. 186).

Aber auch nach dieser generell-abstrakten Betrachtungsweise ist vorliegend keine Beeinflussung der Aufenthaltsdauer i.S.d. § 2 AsylbLG anzunehmen. Nach Ansicht der Kammervorsitzenden ist die Staatsangehörigkeit des Antragstellers im Rahmen der generell-abstrakten Betrachtungsweise einzubeziehen. Im Falle eines serbischen Staatsangehörigen ist die fehlende Beschaffung eines Reisepasses nicht geeignet, die Aufenthaltsdauer zu beeinflussen, da bereits seit dem 1.4.2003 die Rückführung serbischer Staatsangehöriger vereinfacht aufgrund des deutsch-jugoslawischen Abkommens über die Rückführung und Übernahme von Personen, die im Hoheitsgebiet des anderen Staates die Voraussetzungen für die Einreise oder den Aufenthalt nicht erfüllen, möglich ist und seit dem 22.11.2011 zusätzlich durch das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Republik Serbien über die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt vereinfacht wird, wenn glaubhaft gemacht ist, dass diese Staatsangehörige Serbiens sind (vgl. Art. 2 d. EU-Rückübernahmeabkommens v. 29.3.2011, BGBl. II 2011, Nr. 34, S. 1367 ff.).

Auch soweit die Antragsgegnerin geltend macht, eine Abschiebung sei mit einem gültigen Reisepass noch schneller durchführbar [sei], dürfte sich hierdurch keine nennenswerte Verzögerung ergeben, die zu einer Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts führen kann.

Zwar weist die Antragsgegnerin zu Recht darauf hin, dass der Antragsteller nach § 3 AufenthG verpflichtet ist, im Besitz eines gültigen Nationalpasses zu sein. Dies führt jedoch zu keinem anderen Ergebnis. Denn der Verstoß gegen ausländerrechtliche Vorschriften steht fest. Diese können auch gesondert zu einer Ahndung mit einem Bußgeld, wie bereits in der Vergangenheit geschehen, führen und den Antragsteller evtl. zu einer Beantragung und Vorlage eines gültigen Reisepasses motivieren. Jedoch folgt aus den o.g. Gründen hieraus keine Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. [...]