VG Stuttgart

Merkliste
Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 28.01.2019 - A 11 K 5021/17 - asyl.net: M27783
https://www.asyl.net/rsdb/M27783
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für eine ledige Mutter aus China:

Alleinstehenden Frauen, die Kinder zur Welt bringen, drohen Geldbußen und u.U. auch Zwangsabtreibung und Zwangssterilisation.

Unverheiratete Frauen mit einem Kind, das aus einer Verbindung mit einem Nichtchinesen stammt, bilden eine soziale Gruppe im asylrechtlichen Sinn. Ihnen droht landesweit staatliche Verfolgung.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: China, Frauen, soziale Gruppe, nichteheliches Kind, Ausländer, Nichtchinesen, Staatsangehörigkeit, geschlechtsspezifische Verfolgung,
Normen: AsylG § 3
Auszüge:

[...]

Die überzeugenden Ausführungen sowohl des Verwaltungsgerichts Freiburg als auch des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, denen sich der Einzelrichter anschließt, haben auch unter Berücksichtigung neuester Erkenntnismittel weiterhin Geltung. Staatliche Quellen bestätigen dies. Insbesondere bei unverheirateten Frauen ist die Durchsetzung und Kontrolle der staatlichen Familienplanungspolitik immer wieder mit gravierenden Verletzungen der Menschenrechte bis hin zu Zwangsabtreibungen in fortgeschrittenen Schwangerschaftsmonaten verbunden (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 14.12.2018, S. 22 f.; United States Departement of State, China 2017 - Human Rights Report, S. 54 ff.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 14.11.2017, zuletzt aktualisiert am 05.02.2018, S. 45 f.; Immigration and Refugee Board of Canada, China: Treatment of "illegal" or "black" children born outside the family planning policy; whether unregistered children are denied access to education, health care and other services; information on punitive measures taken against parents who violated family planning policy before and/or after policy changes effective January 2016 (2013-September 2016) vom 20.10.2016). Alleinstehende Frauen haben keine Möglichkeit, "legal" Kinder zur Welt zu bringen (hierzu und zum Folgenden insbesondere Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O.). In fast allen Provinzen ist es für alleinstehende Frauen illegal, Kinder zu bekommen und wird mit Geldstrafen belegt. Auch wenn erzwungene Abtreibungen und Sterilisationen weniger verbreitet sind, als in der Vergangenheit, gibt es weiterhin Berichte über Zwangssterilisierungen und Abtreibungen.

b) Nach Ansicht des Einzelrichters besteht nach Auswertung der genannten Erkenntnismittel für die Klägerin bei ihrer Rückkehr nach China eine sehr hohe - beachtliche - Wahrscheinlichkeit, Ziel staatlicher Maßnahmen der Geburtenkontrolle zu werden. Die Klägerin stammt aus ..., das der Provinz ... angehört, und hat ein mit einem kamerunischen Asylbewerber gezeugtes Kind. Zudem ist sie unverheiratet. Hieran bestehen für das Gericht nach den glaubhaften Ausführungen der Klägerin während der mündlichen Verhandlung keine begründeten Zweifel. Da sie unverheiratet ist, fällt sie nicht unter die oben genannten Ausnahmekonstellationen, in der es ihr möglich wäre, ein - weiteres - Kind legal und in Übereinstimmung mit den chinesischen Gesetzen über die Familienplanung zur Welt zu bringen. Nach den vorstehenden Tatsachenfeststellungen droht der Klägerin mit einer Zwangssterilisation eine Handlung, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpft, § 3a Abs. 2 Nummer 3 Alt. 1 AsylG. Selbst wenn die Klägerin theoretisch eine körperliche Zwangsmaßnahme durch Zahlung eines Bußgelds abwenden könnte, läge hierin eine diskriminierende gesetzliche bzw. administrative Maßnahme im Sinne von § 3a Abs. 2 Nummer 2 AsylG, da sie das Bußgeld allein aufgrund ihres familiären Status als unverheiratete Mutter eines Kindes zahlen müsste. Nach Überzeugung des Einzelrichters ist auch nicht zu erwarten, dass die Klägerin ein zu erwartendes Bußgeld bezahlen könnte. Dies hat sie in der mündlichen Verhandlung glaubhaft gemacht.

Die Klägerin ist den beschriebenen Verfolgungshandlungen außerdem als Mitglied der sozialen Gruppe (§ 3b Abs. 1 Nummer 4 AsylG) unverheirateter Mütter mit einem mit einem Ausländer gezeugten Kind ausgesetzt. Insoweit schließt sich das Gericht den bereits dargestellten und überzeugenden  Ausführungen des Verwaltungsgerichts Freiburg und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg an. Die zeitlich nachfolgenden Entscheidungen anderer Gerichte (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 7. November 2016 - 15 ZB 16.30425 juris Rn. 6 ff.; VG Leipzig, Urteil vom 29. April 2016 - 4 K 228/13.A juris; VG Kassel, Urteil vom 20. Januar 2016 - 5 K 1167/13.KS.A juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 15. Januar 2016 - 2a K 4280/14.A - , juris) vermögen an dieser Einschätzung nichts zu ändern, da in diesen eine substantiierte Auseinandersetzung mit den Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Freiburg und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg nicht stattfindet.

Die Klägerin kann auch nicht auf internen Schutz (§ 3e AsylG) verwiesen werden, da ausweislich des Lageberichts des Auswärtigen Amtes vom 14.12.2018 (dort Seite 24) ein offizieller Umzug in einen anderen Landesteil nur schwer möglich ist. Dies gilt insbesondere im Falle der hier vorliegenden vom Staat ausgehenden (§ 3c Nummer 1 AsylG) Verfolgung. [...]