VG Bayreuth

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Zitieren als:
VG Bayreuth, Urteil vom 07.05.2019 - B 4 K 17.33417 - asyl.net: M27784
https://www.asyl.net/rsdb/M27784
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für einen Mann aus Côte d'Ivoire, der wegen okulokutanem Albinismus hellbraune Haut und rote Haare hat:

Menschen mit Albinistmus bilden in Côte d'Ivoire eine soziale Gruppe im asylrechtlichen Sinne. Ihre Körperteile gelten als Glücksbringer und Heilmittel, weshalb ihnen Entführung und Ermordung droht. Die Behörden Côte d'Ivoires sind nicht in der Lage, sie vor dieser nichtstaatlichen Verfolgung zu schützen. Da sie im ganzen Land bedroht sind, haben sie keine inländische Fluchtalternative.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Côte d’Ivoire, Albino, Albinismus, nichtstaatliche Verfolgung, Schutzfähigkeit, interne Fluchtalternative, interner Schutz, Flüchtlingsanerkennung,
Normen: AsylG § 3,
Auszüge:

 [...]

Demnach geht das Gericht entgegen dem Bundesamt davon aus, dass die vom Kläger dargelegten erlittenen und drohenden Verfolgungshandlungen Dritter Rechtsverletzungen von asylrechtlicher Relevanz und mit asylrechtlicher Intensität sind, die über eine bloße Beeinträchtigung hinausgehen und die Voraussetzungen des § 3a Abs. 1 AsylG erfüllen. Die dargelegten Verfolgungshandlungen knüpfen an die angeborenen und für den Kläger unverfügbaren Merkmale der Haut- und Haarfarbe an, welche die soziale Gruppe der Menschen mit Albinismus kennzeichnet und sie von der sie umgebenden Gesellschaft deutlich erkennbar abgrenzt, die die Gruppe der Menschen mit Albinismus deswegen als andersartig betrachtet, § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Die erlittenen und drohenden Verfolgungshandlungen betreffen die geschützten Rechtsgüter von Leib und Leben des Klägers. Der Kläger war von andauernder Diskriminierung, Ausgrenzung und Benachteiligung betroffen. Auch wenn er nicht abgeschnitten von der Gesellschaft lebte, da er aufgrund der Unterstützung und Finanzierung seiner Mutter zumindest anfänglich eine Schule besuchen konnte, war sein Leben dennoch von Kindheit an immer eingeschränkt.

Die Ausführungen des Klägers stimmen zudem mit den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen zu Menschen mit Albinismus in Afrika und im Speziellen in der Elfenbeinküste überein. Demnach glauben 95 Prozent der Einwohner der Elfenbeinküste an Zauberei und Hexerei. Aufgrund traditioneller Vorstellungen werden behinderte Kinder der Hexerei verdächtigt. Im Januar 2015 berichteten verschiedene Medien, dass in der Elfenbeinküste mindestens 21 Kinder seit Dezember 2014 entführt worden seien, die Meisten wurden tot mit verstümmelten Körpern wiedergefunden. Es wurde vermutet, dass die Entführungen im Zusammenhang stehen mit rituellen Tötungen durch bestechliche Geschäftsleute und Polizisten. Sie hätten die Körperteile in Zeremonien benutzt, um sich übernatürliche Kräfte zu verleihen. Insgesamt gab es in der Elfenbeinküste 30 gemeldete Fälle von Entführungen von Menschen mit Albinismus (vgl. EASO-Query: Response on the treatment of black skinned people with red or blonde hair vom 8.10.2018, S. 2ff; Under the Same Sun - Reported Attacks of Persons with Albinism vom 2.4.2019, S. 8).

Nach den bisherigen Erkenntnissen sind derartige Tötungen zwar vor allem in den Ländern Tansania, Malawi, Kenia, Burundi, der Demokratischen Republik Kongo und Uganda verbreitet. Menschen mit Albinismus werden verfolgt und für Körperteile, die heilende Kräfte haben sollen, gejagt. Einige Wunderheiler behaupten, dass Körperteile von Albinos Glück, Macht und Reichtum bringen und benutzen sie für Rituale. Ein kompletter "Satz" an Körperteilen bringe umgerechnet rund 67.000 Euro. In Tansania leben viele Kinder mit Albinismus beispielsweise in staatlichen Camps von ihren Familien und dem Rest der Gesellschaft abgeschottet (https://ze.tt/verstuemmelt-und-getoetet-so-sehr-leiden-kinder-mit-albinismus-in-ostafrika/; www.welt.de/wissenschaft/article138413514/Albinos-werden-in-Teilen-Afrikas-wie-Tiere-gejagt.html; globaldisability.org/2016/05/30/hunting-for-muti-the-chase-for-people-with-albinism). Ausweislich der aktuellen Erkenntnismittel ist der Aberglaube an die heilende Wirkung in der Bevölkerung der Elfenbeinküste weit verbreitet und die Verfolgung findet dort auch zahlreich statt.

Das Gericht verkennt insoweit nicht, dass es Angehörigen der Gruppe von Menschen mit Albinismus in Afrika in Einzelfällen gelungen ist, etwa in Kamerun, ein Amt in der Regierung bzw. ein Staatsamt zu bekleiden oder Popstar zu werden (so etwa Salif Keita aus Mali). Nach Einschätzung des Gerichts handelt es sich jedoch insoweit zunächst lediglich um positive Ausnahmen und Ansätze, deren Umsetzung und Auswirkung auf die in der Gesellschaft verbreiteten Vorurteile und den Aberglauben abzuwarten ist (VG Augsburg - U.v. 14.2.2018 - Au 7 K 17.31307 - juris Rn. 48).

Das Gericht geht ferner davon aus, dass es dem Kläger nicht möglich war und ist, gegenüber den von nicht staatlichen Akteuren erfolgten und drohenden Verfolgungsmaßnahmen wirksamen Schutz durch staatliche Sicherheitsbehörden zu erlangen, § 3d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AsylG. Dabei geht das Gericht im vorliegenden Fall davon aus, dass es an der Fähigkeit des Staates fehlt, ausreichenden Schutz zu gewähren. Ein dauerhafter Schutz des Klägers ist nicht erreichbar. Insbesondere ist nicht vorhersehbar, wann ein möglicher Übergriff auf den Kläger bevorstehen könnte. Zudem gibt es bei den Sicherheitskräften in der Elfenbeinküste, einschließlich der Polizei, nach wie Fälle von Korruption und Straffreiheit (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Elfenbeinküste, Gesamtaktualisierung am 30.3.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 24.10.2018, S.14). Der Kläger gab auch an, dass er sich bereits vergeblich an die Polizei in seinem Heimatland gewandt habe.

Ferner steht dem Kläger keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung nach § 3e Abs. 1 AsylG. Dies setzt voraus, dass in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. Schutz vor Verfolgung besteht und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sich der Kläger in diesem Landesteil aufhält. Diesbezüglich lässt sich auf Grundlage der dem Gericht bekannten Erkenntnismittel jedoch nicht feststellen, dass sich hinsichtlich der Verfolgung von Menschen mit Albinismus räumliche Unterscheidungen treffen lassen oder diese etwa in großen Städten nicht besteht. [...]