VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 16.01.2018 - 6 A 296/17 - asyl.net: M27797
https://www.asyl.net/rsdb/M27797
Leitsatz:

Subsidiärer Schutz für homosexuellen Mann aus Cote d‘ Ivoire:

1. Zwar ist Homosexualität in Cote d‘Ivoire grundsätzlich nicht strafbar; gleichwohl wird öffentliche „Unanständigkeit“ mit einem gleichgeschlechtlichen Partner verfolgt. Auch wenn Strafverfolgungen dieser Art sehr selten sind, müssen Angehörige sexueller Minderheiten ihre Orientierung verstecken, um Ungerechtigkeiten, Diskriminierung und Gewalt zu vermeiden.

2. Bei Nachstellungen sowie Drohungen von nichtstaatlicher Seite aufgrund der Homosexualität kann kein staatlicher Schutz in Anspruch genommen werden, da Vorurteile und Diskriminierungen auch seitens der staatlichen Stellen bestehen.

(Leitsätze der Redaktion; diese und weitere Entscheidungen zu LSBTI-Personen sind auch zu finden in der Rechtsprechungssammlung des LSVD)

Schlagwörter: Côte d’Ivoire, homosexuell, subsidiärer schutz, sexuelle orientierung, Diskriminierung, nichtstaatliche Verfolgung,
Normen: AsylG § 4,
Auszüge:

 [...]

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes. [...]

Nach Erkenntnissen des Gerichts ist Homosexualität in Côte d'Ivoire grundsätzlich nicht strafbar. Gleichwohl wird öffentliche "Unanständigkeit" mit einem gleichgeschlechtlichen Partner verfolgt. [...]

Es ist schwierig festzustellen, ob dieser Artikel schon Homosexuelle in der Elfenbeinküste diskriminiert. Rechtsprechung zu diesem Thema gibt es praktisch nicht, weil ein Verstoß gegen den öffentlichen Anstand nur dann verfolgt wird, wenn Zeugen derartige Taten anzeigen. In diesem Fall wissen die meisten Menschen jedoch nicht, dass die Möglichkeit gibt, derartige Vorfälle anzuzeigen. Aus dem Grunde sind Strafverfolgungen dieser Art sehr selten. Gleichwohl müssen Angehörige sexueller Minderheiten ihre sexuelle Orientierung verstecken, um Ungerechtigkeiten, Diskriminierung und Gewalt zu vermeiden. Die Bekanntgabe der Homosexualität kann einen Verstoß durch die Familie und den Verlust der Unterstützung von Netzwerken zur Folge haben (vergleiche UNHCR, COI Compilation Côte d'Ivoire, Februar 2016, Seite 99 mit Nachweisen weiterer Quellen). [...]

Auch der Kläger macht nicht geltend, staatliche Verfolgung erlitten zu haben. Vielmehr ist es so, dass er Nachstellungen bis hin zu Morddrohungen der Familienangehörigen seiner nach eigenen Angaben zahlreichen sexuellen Partner erlitten hat. Seine Angaben dazu in der mündlichen Verhandlung war detailliert und plausibel; das Gericht hat keine Zweifel an seiner Glaubhaftigkeit. Nach eigenen Angaben hat der Kläger auch in Deutschland erneut eine homosexuelle Beziehung unterhalten, so dass seine diesbezügliche Orientierung nicht etwa einer besonderen Notlage geschuldet gewesen wäre. Nach Einschätzung des Gerichts ist davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr in die Elfenbeinküste erneut Verfolgungshandlungen und Diskriminierungen der jeweiligen Familienangehörigen seiner Partner ausgesetzt wäre. Der Kläger hat bei seiner Anhörung eindringlich geschildert, welche Drohung gegen ihn ausgesprochen worden sind. Es besteht kein Zweifel, dass er bei einer Rückkehr Gefahr läuft, Opfer der Rache von Familienangehörigen zu werden, die die Homosexualität ihres Familienmitgliedes als ganz erheblich ehrenrührig empfinden und mit allen Mitteln versuchen, diese zu verhindern. Bei solchen Nachstellungen kann der Kläger auch keinen staatlichen Schutz in Anspruch nehmen, da die gleichen Vorurteile und Diskriminierungen auch seitens der staatlichen Stellen bestehen. [...]