VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 08.01.2019 - 4 K 4684/18.F.A - asyl.net: M27803
https://www.asyl.net/rsdb/M27803
Leitsatz:

Keine Verfolgung für Yeziden im Irak:

1. Abweisung einer Klage gegen den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet.

2. Es droht keine Gruppenverfolgung von Yeziden durch den IS mehr. Dies ist dadurch belegt, dass die Familie des Klägers offenbar unbehelligt im Irak lebt und der Kläger selbst besuchsweise dorthin reiste, ohne weitere Verfolgung zu befürchten.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Irak, Yeziden, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, offensichtlich unbegründet, Gruppenverfolgung,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 73,
Auszüge:

[...]

Denn dem Kläger droht heute im Irak offensichtlich und nach jeder Betrachtungsweise keine Verfolgung mehr wegen seines yezidischen Glaubens. Damit hat sich die Sachlage seit der Anerkennung als Flüchtling mit Bescheid vom 12.02.2016 grundlegend geändert. Vergleichsmaßstab ist die Sachlage im Zeitpunkt der Anerkennung und die Sachlage im Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Gerichts über die Rechtmäßigkeit des Widerrufs (§ 77 Abs. 1 AsylG).

Der Kläger wurde damals ausweislich des Vermerks der beigezogenen Akte des ersten Verwaltungsverfahrens vom 12.02.2016 (vgl. Blatt 43 GA) als Flüchtling anerkannt, weil das Bundesamt vom yezidischen Glauben des Klägers ausging und eine Gruppenverfolgung der Yeziden im Irak annahm; ein individuelles Verfolgungsschicksal habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Die damals maßgebliche Situation, von der das Bundesamt ausgegangen ist, eine Gruppenverfolgung der Yeziden im Irak durch den IS, besteht heute mit absoluter Sicherheit und nach jeder Betrachtungsweise nicht mehr.

Denn der IS wurde im Irak, worauf das Bundesamt im angegriffenen Bescheid (Seite 4 oben) zutreffend hinweist, vollständig besiegt und zurückgedrängt; dies gilt für das gesamte irakische Staatsgebiet. Diese grundlegende Änderung der Sachlage ist nach der Flüchtlingsanerkennung des Klägers eingetreten. Spätestens mit der Rückeroberung von Mosul und von Tal Afar im Sommer 2017 ist der IS im Irak vollständig besiegt. Auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes wird Bezug genommen. Selbst wenn es immer noch zu vereinzelten Attentaten des IS kommen mag, besteht heute - zumal im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - auch entfernt nicht mehr die Gefahr einer Gruppenverfolgung ober überhaupt einer nennenswerten Verfolgung von Yeziden im Irak durch den IS. Hiervon geht niemand mehr vernünftigerweise aus. Der Kläger und sein Bevollmächtigter tragen hierzu auch nichts Substanzielles vor.

Die Sicherheitslage im Irak ist vielmehr mittlerweile weitgehend stabil, zuletzt konnten unbehelligt demokratische Wahlen im Irak durchgeführt werden. Anlässlich der jüngsten Auslandsreise hat der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland die Sicherheitslage im Irak als stabil beurteilt und darauf hingewiesen, dass nunmehr die Voraussetzungen für einen Wiederaufbau des Irak und eine Rückkehr von Flüchtlingen vorlägen. Ähnlich hat der irakische Außenminister sich geäußert (vgl. z.B. Süddeutsche Zeitung vom 18.12.2108 "Sicherheitslage eindeutig verbessert"). Dies ist allgemein bekannt, ergibt sich aber bereits aus dem zum Gegenstand der Verhandlung gemachten Lagebericht des Auswärtigen Amtes. Im Übrigen stellt das Bundesamt diese Sachlage im angegriffenen Bescheid auch zutreffend dar: Die Gefahr, etwa in der Provinz Ninive Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, ist gering und weit unterhalb der Schwelle für die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Selbst wenn es noch zu vereinzelten Attentaten des IS oder von anderen Terrororganisationen kommen mag, gelten diese auch nicht gerade den Yeziden, sondern sind wahllos und können jeden Iraker treffen. Der Kläger wurde aber wegen einer Gruppenverfolgung der Yeziden im Irak anerkannt. Diese Situation besteht heute offensichtlich und nach jeder Betrachtungsweise nicht mehr. Auch eine Verfolgung einzelner Yeziden im Irak ist extrem unwahrscheinlich bis ausgeschlossen.

Im Übrigen ist der irakische Staat schutzbereit und schutzfähig, er geht insbesondere gegen den Terror - wie dargelegt - mit großem Erfolg vor und hat den IS seit langem auf der gesamten Fläche des Irak vollständig zurückgedrängt.

Das Bundesamt weist darüber hinaus zutreffend darauf hin, dass der Kläger selbst in den Irak gereist ist und sich dort fast drei Wochen aufhielt. Auf den angegriffenen Bescheid wird erneut Bezug genommen.

Dies belegt, dass der Kläger für sich selbst keine Gefährdung sah. Der Verweis des Klägerbevollmächtigten auf die Vorschrift des § 72 Abs. 1 Nr. 1a AsylG ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, weil vorliegend ein Widerruf ausgesprochen und nicht das automatische Erlöschen nach dieser Vorschrift festgestellt wurde. Im Übrigen steht nicht im Streit und kann nicht zweifelhaft sein, dass die Rückkehr eines Ausländers in sein Heimatland, auch nur die vorübergehende, jedenfalls ein Indiz für eine fehlende Verfolgungsfurcht ist. Denn niemand wird in sein Heimatland, auch kurzfristig, zurückkehren, wenn er dort einer Verfolgung ausgesetzt wäre. Maßgeblich in diesem Zusammenhang ist aber vor allem, dass die Familie, etwa die Mutter des Klägers, im Irak, in Provinz Ninive, wohnt und dort - im Einklang mit der Annahme des Gerichts und dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes - offenbar unbehelligt lebt. Der Kläger steht im Kontakt zu seiner Mutter und zu weiteren Familienangehörigen, er war selber vor Ort, berichtet aber nicht, dass seine Mutter oder andere Yeziden in dem Dorf oder der näheren Umgebung noch Verfolgung ausgesetzt wären. [...]