VG Dresden

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Zitieren als:
VG Dresden, Urteil vom 04.06.2019 - 13 K 5415/17.A - asyl.net: M27810
https://www.asyl.net/rsdb/M27810
Leitsatz:

Weder Flüchtlingserkennung noch subsidiärer Schutz für homosexuellen Mann aus Venezuela:

1. Einem homosexuellen Mann droht nicht allein aufgrund seiner Homosexualität Verfolgung durch den venezolanischen Staat oder staatliche Institutionen. Zwar kommt es in Venezuela weit verbreitet zu Diskriminierungen und gelegentlich zu gewalttätigen Übergriffen gegenüber homosexuellen Personen. Für das Vorliegen einer Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG fehlt es jedoch an einer deutlich abgrenzbaren Identität vom Rest der Gesellschaft. Vereinzelte Übergriffe durch Sicherheitskräfte stellen lediglich Exzesshandlungen dar, die dem Staat nicht zurechenbar sind. In solchen Fällen besteht eine inländische Fluchtalternative.

2. Für eine subsidiäre Schutzzuerkennung fehlt es bereits an einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt, da sich die Gewalt der staatlichen Streitkräfte sowie der Colectivos gegen die gesamte Bevölkerung richtet.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Venezuela, homosexuell, soziale Gruppe, Flüchtlingsanerkennung, subsidiärer Schutz, interne Fluchtalternative, Amtswalterexzess, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Upgrade-Klage,
Normen: AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 4, AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3,
Auszüge:

[...]

21 Ausgehend hiervon begründet der Vortrag der Kläger nach entsprechender Würdigung durch das Gericht keinen Rechtsanspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.

22 Es liegt zunächst keine beachtliche Wahrscheinlichkeit vor, dass dem Kläger allein auf Grund seiner Homosexualität Verfolgung durch den venezolanischen Staat oder staatliche Institutionen droht. Als Verfolgungsgrund kommt wegen seiner sexuellen Orientierung, die das Gericht nicht in Zweifel zieht, seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nach § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG in Betracht. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe wird nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 AsylG durch zwei Voraussetzungen, die kumulativ erfüllt sein müssen, definiert. Zum einen müssen die Mitglieder dieser Gruppe mindestens ein angeborenes Merkmal oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder ein Merkmal oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen ist, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten. Zum anderen muss diese Gruppe in dem Herkunftsland eine deutlich abgegrenzte Identität haben, so dass sie von der sie umgebenden Gesellschaft als ,,andersartig" betrachtet wird. Es unterliegt keinem vernünftigen Zweifel, dass die sexuelle Ausrichtung einer Person für deren Identität so bedeutsam ist, dass sie nicht gezwungen werden sollte, hierauf zu verzichten. Deshalb bestimmt § 3b Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 AsylG, dass als eine bestimmte soziale Gruppe auch eine solche gelten kann, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung grün det. Das Gericht geht jedoch in Übereinstimmung mit der ihm bekannten, aktuellen Rechtsprechung (vgl. nur VG Osnabrück, U. v. 17.09.2018 – 5 A 51/17 -) davon aus, dass in Venezuela Homosexuelle vom Rest der Gesellschaft nicht im oben bezeichneten Sinne deutlich abgegrenzt werden. [...] Zwar ist eine Diskriminierung sexueller Minderheiten in Venezuela rechtlich ausgeschlossen; dennoch kommt es in dem römisch-katholisch geprägten Land weit verbreitet zu Diskriminierungen und gelegentlichen Gewaltübergriffen. Homosexuelle Opfer von Hassdelikten wenden sich oftmals nicht an die staatlichen Behörden, da sie dann ggf. Erpressungen und Bedrohungen oder auch Beschimpfungen und Erniedrigungen in Kauf nehmen müssten. Es kommt auch zu von den Sicherheitskräften durchgesetzten Zugangsbeschränkungen für Einkaufszentren, öffentliche Parks und Erholungsgebieten. Psychologische, verbale oder auch körperliche Missbräuche an Schulen und Universitäten kommen häufig vor (vgl. Freedom House, "Freedom in the World 2019", Januar 2019; US Departement of State - USDOS – Country Report on Human Rights Practices 2018, 13.03.2019; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - BFA -, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 28.03.2018; Amnesty International - AI -, Stellungnahme gegenüber VG Dresden – 13 K 4786/17.A -, 07.03.2018 zu "LGBTI-Personen").

23 Es kann vorliegend dahin stehen, ob der Kläger in seiner Heimat Opfer kriminellen Unrechts durch gesetzlich nicht legitimierte und rein willkürlich erfolgte Übergriffe des Polizisten ... und seiner Schergen geworden ist oder er durch diese Verfolgungshandlungen i.S.v. § 3a AsylG ausgesetzt war. Jedenfalls erfolgten diese Übergriffe immer durch oder auf Veranlassung dieses offensichtlich mit den entsprechenden Machtbefugnissen ausgestatteten Polizisten (Exzesshandlung). Dieser war/ist jedoch schon nach dem Vortrag des Klägers nur in einem abgrenzbaren Gebiet tätig, so dass dem Kläger außerhalb dieses Gebietes von ... keine Gefahr drohten kann.

26 Der Kläger hat ebenfalls keinen Anspruch auf die hilfsweise geltend gemachte Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach § 4 AsylG. [...]

28 Gemessen hieran fehlt es in Venezuela schon an einem bewaffneten Konflikt, da sich keine "Streitkräfte" im o.g. Sinne gegenüber stehen. Die Gewalt seitens der Colectivos richtet sich, ebenso wie diejenige der staatlichen Streitkräfte, gegen das Volk ohne Ansehung einer konkreten Person. [...]