VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 18.09.2019 - 4 A 1859/19.Z.A - asyl.net: M27831
https://www.asyl.net/rsdb/M27831
Leitsatz:

Bei Kenntnis von der erfolgten Klärung der Grundsatzfrage innerhalb der Berufungszulassungsfrist kommt die Umdeutung eines zuvor gestellten Antrages auf Zulassung der Grundsatzberufung in einen Antrag auf Zulassung wegen Divergenz nicht mehr in Betracht.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, Grundsätzliche Bedeutung, Divergenzrüge, Umdeutung,
Normen: AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 2, GG Art. 19 Abs. 4
Auszüge:

[...]

Wenn eine zunächst grundsätzlich klärungsbedürftige Frage erst während des laufenden Zulassungsverfahrens und nach Ablauf der Begründungsfrist durch eine Entscheidung des Obergerichts geklärt wird und das angefochtene Urteil von dieser Entscheidung abweicht, so kann zwar die Grundsatzrüge in eine Divergenzrüge umgedeutet und dem zunächst wegen grundsätzlicher Bedeutung begründeten Zulassungsantrag stattgegeben werden (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 25. Oktober 2018 - 4 A 1979/18.Z.A -; BVerwG, Beschluss vom 29. Oktober 2015 - 3 B 70.15 u.a. -, juris Rdnr. 9; Beschluss vom 27. April 2017 - 1 B 6.17 -, juris Rdnr. 7; Beschluss vom 19. Dezember 2017 - 8 B 7.17 u.a. -, juris Rdnr. 1; BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, juris Rdnr. 23). Das gilt auch im Falle des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG, der § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nachgebildet ist (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 UZ 2538/97.A -, juris Rdnr. 17). Grundgedanke dieser Rechtsprechung ist, dass einem hinreichend begründeten Zulassungsantrag bei objektivem Vorliegen eines anderen Zulassungsgrundes nicht durch nachträgliche Änderungen die Grundlage entzogen werden soll, da der Antragsteller selbst wegen Ablaufs der Antragsfrist (§ 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG) keine Möglichkeit hat, auf die nachträgliche Klärung der Rechts- oder Tatsachenfrage zu reagieren (GK-AsylG, Stand Juli 2019, § 78 Rdnr. 188; Buchheister in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Februar 2019, § 132 Rdnr. 55 zur Revisionszulassung).

Ist jedoch die grundsätzliche Bedeutung durch eine zwischenzeitlich ergangene obergerichtliche Entscheidung entfallen, die objektiv bereits zum Zeitpunkt des Ablaufs der Antragsfrist vorlag, kommt ein entsprechender Wechsel des Zulassungsgrundes nur in Betracht, wenn die klärende Entscheidung dem Rechtsmittelführer nicht bekannt war oder bekannt sein konnte, etwa weil sie noch nicht veröffentlicht war (GK-AsylG, Stand Juli 2019, § 78 Rdnr. 189 m.w.N.). Bei Zulassungsanträgen des Bundesamtes ist grundsätzlich auf die Kenntnis der Behörde - nicht des zuständigen Prozesssachbearbeiters - auch von nicht veröffentlichten, durch Zustellung bekanntgewordenen Entscheidungen abzustellen (GK-AsylG, a.a.O. Rdnr. 189). Insofern ist der Rechtsmittelführer nicht anders zu stellen, als wenn der Antrag selbst nach Bekanntwerden der klärenden obergerichtlichen Entscheidung, aber noch innerhalb der Antragsfrist gestellt worden wäre.

Vorliegend ist die grundsätzliche Klärung der durch die Beklagten aufgeworfenen Rechtsfrage durch das Urteil des Senats vom 1. August 2019 bereits vor Ablauf der Begründungsfrist am 19. August 2019 erfolgt. Dieser Umstand ist der Beklagten auch vor Ablauf der Begründungsfrist, nämlich durch Zustellung des mit Entscheidungsgründen versehenen Urteils am 13. August 2019, bekannt geworden. Die Beklagte hätte somit ihr prozessuales Verhalten an die veränderten Umstände anpassen und den Zulassungsgrund der Divergenz nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG darlegen können und müssen, wenn sie ihren Antrag nunmehr auf diesen Zulassungsgrund stützen wollte. [...]