Keine Schutzstaus für nicht vorverfolgt ausgereiste Homosexuelle aus Gambia nach dem Machtwechsel von Dezember 2016:
"1. Zur Situation Homosexueller in Gambia unter Präsident Barrow nach dem Machtwechsel vom Dezember 2016 (Rn. 27).
2. Macht der Kläger allein seine Homosexualität geltend und trägt er keine staatliche oder nichtstaatliche Vorverfolgung vor, bleibt es beim Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der qualifizierenden Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung (Rn. 22).
3. Kommt dem Kläger mangels geltend gemachter Vorverfolgung die Beweiserleichterung des Art 4 Abs 4 RL 2004/83/EG (juris: EGRL 83/2004) - sog. Qualifikationsrichtlinie - nicht zu Gute, gibt es nach dem Machtwechsel im Dezember 2016 ausweislich der vorliegenden Erkenntnismittel keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger aufgrund seiner sexuellen Orientierung bei einer Rückkehr nach Gambia mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung (§ 3 Abs. 1 AsylG (juris: AsylVfG 1992)) oder ein ernsthafter Schaden (§ 4 Abs. 1 AsylG (juris: AsylVfG 1992)) drohen (Abgrenzung zu VG Stuttgart, Urteil vom 02.11.2017 - A 1 K 8218/16) (Rn. 33)(Rn. 37)."
(Amtliche Leitsätze; diese und weitere Entscheidungen zu LSBTI-Personen sind auch zu finden in der Rechtsprechungssammlung des LSVD)
[...]
18 [...] Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Er hat ferner keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes sowie auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
19 1. Dem Kläger kann die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt werden. [...]
25 b) Der Kläger trägt vor, er habe Gambia gemeinsam mit seinem homosexuellen Lebenspartner im August des Jahres 2014 wegen seiner Homosexualität und der Angst vor staatlicher Verfolgung und gesellschaftlicher Ächtung, Benachteiligung und Misshandlung verlassen. Konkret seien sein Freund und er jedoch weder von den staatlichen Sicherheitsbehörden vorgeladen oder strafrechtlich verfolgt noch von Familienmitgliedern oder sonstigen privaten Dritten misshandelt worden. [...]
27 bb) Das Auswärtige Amt hat dargelegt (Auskunft vom 23.06.2009 an das BAMF und Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Gambia vom 26.10.2017 – Stand: Juli 2017), dass Homosexualität in Gambia strafbar sei. Nach Art. 144 des gambischen Strafgesetzbuchs seien – auch einvernehmliche – "widernatürliche" körperliche Kontakte sowie der Versuch, solche Kontakte einzugehen, mit einer Gefängnisstrafe von 4 bis 14 Jahren bewehrt. Homosexualität falle nach allgemeiner gambischer (Rechts-) Auffassung unter widernatürliche Akte. Sie seien auch dann strafbar, wenn sie nicht in der Öffentlichkeit begangen würden. [...]
29 c) Das Gericht ist zwar überzeugt, dass der Kläger homosexuell ist. Es ist jedoch aufgrund der aktuellen politischen Lage und der Phase des politischen Wandels in Gambia nicht davon überzeugt, dass sich der Kläger aus begründeter Furcht vor einer Verfolgung wegen seiner Zugehörigkeit der sozialen Gruppe der Menschen mit homosexueller Orientierung außerhalb seines Herkunftslandes Gambia befindet. [...]
31 bb) [...] Der Kläger hat detailreich und schlüssig geschildert, wie die Beziehung zu seinem Freund entstanden ist und wie er Gefühle für seinen Freund entwickelt hat. Der Kläger hat ferner schlüssig, nachvollziehbar und glaubhaft dargetan, wie er nunmehr in Deutschland in seinem gesellschaftlichen Umfeld mit seiner sexuellen Orientierung umgeht. Der Kläger hat jedoch selbst keinerlei Vorverfolgung durch staatliche Stellen oder gesellschaftliche Akteure vorgetragen. Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG – sog. QuaIRL – kommt dem Kläger daher nicht zu Gute. Der hiesige Sachverhalt weicht daher vom Sachverhalt ab, über den das Verwaltungsgericht Stuttgart zu entscheiden hatte (konkrete staatliche Vorverfolgung in Gestalt von Inhaftierung und Folterung des Klägers aufgrund seiner Homosexualität, VG Stuttgart, Urteil vom 02.11.2017 – A 1 K 8218/16 –, juris). Maßgeblich ist daher allein, ob dem Kläger nach der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung anzustellenden Wahrscheinlichkeitsprognose im Falle seiner Rückkehr politische Verfolgung droht.
32 cc) Nach der aktuellen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, kann aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse nicht davon ausgegangen werden, dass Homosexuellen durch die staatliche Verurteilung der Homosexualität in Gambia in der Praxis mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden droht. Es fehlt – auch unter der zwischenzeitlich beendeten Präsidentschaft Jammeh – an hinreichenden Belegen dafür, dass strafrechtliche Verurteilungen gambischer Staatsangehöriger im Zusammenhang mit dem Vorwurf homosexueller Handlungen erfolgen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.10.2016 – A 9 S 903/13 – juris, Rn. 42 ff.; 49 ff.).
33 Neben dem Zeitablauf seit der Ausreise (etwa dreieinhalb Jahre) spricht der in Gambia vollzogene Machtwechsel im Dezember 2016 und Januar 2017 gegen eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung des Klägers wegen dessen homosexueller Orientierung (vgl. zum Folgenden VG Freiburg, Urteil vom 10.11.2017 – A 1 K 4885/16 –, juris und Urteil vom 10.01.2018 – A 1 K 4364/16 – nicht veröffentlicht; a. A. wohl VG Stuttgart, Urteil vom 02.11.2017 – A 1 K 8218/16 –, juris). Der ehemalige Präsident, Yahya Jammeh, der persönlich gegen Homosexuelle gehetzt hatte, befindet sich im Exil. Der neue Präsident, Adama Barrow, hat einen vollständig anderen Kurs eingeschlagen. So hat sich u.a. auch die menschenrechtliche Situation in Gambia wesentlich verbessert. Die Regierung kündigte eine Reihe von Maßnahmen an, um die Einhaltung der Menschenrechtsstandards sicher zu stellen und verpflichtete sich, eine nationale Menschenrechtskommission zu etablieren (Bericht des UNO-Generalsekretärs zu Entwicklungen in westafrikanischen und Sahel-Staaten zwischen 1. Jänner und 30. Juni 2017, Rn. 29; Humans Rights Watch, Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2017, Stand: 18.01.2018, S. 1; beide Quellen abrufbar unter www.ecoi.net). Die Gesetze, die Homosexualität unter Strafe stellen, wurden bislang nicht von der Regierung Barrow revidiert. Menschen mit abweichender sexueller Orientierung sind Amnesty International zufolge immer noch der Diskriminierung und Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure, insbesondere Familienangehörige, ausgesetzt (Amnesty International, Jahresbericht 2017/2018, Stand: 22.02.2018, vgl. auch European Asylum Support Office, Country of Origin Information Report: The Gambia Country Focus, S. 66 f., beides abrufbar unter abrufbar unter www.ecoi.net. Zugleich soll Präsident Barrow bei einer Pressekonferenz im Februar 2017 gesagt haben, dass Homosexualität in Gambia kein Thema sei und er Homosexualität als persönliche Angelegenheit betrachte. Nach der Interpretation durch Frau Dr. Touray, Ministerin für Beschäftigung und selbst Menschenrechtsaktivistin und ehemalige Präsidentschaftskandidatin, meine er damit, dass die Menschen ein Recht zu welcher Orientierung auch immer hätten, natürlich habe jeder ein Recht zu existieren (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Gambia: Informationen zu Homosexualität [gesetzliche Lage, Umsetzung von Strafen, Haltung der Gesellschaft, der Behörden und des neuen Präsidenten gegenüber Homosexuellen], Stand 27.03.2017, unter Berufung auf die Medienplattform DEVEX, 17.02.2017). Nach Erkenntnissen von Human Rights Watch hat die Regierung Barrow versprochen, gleichgeschlechtliche Paare nicht wegen einverständlicher sexueller Handlungen strafrechtlich zu verfolgen. Diese Politik stehe in scharfem Kontrast zur hasserfüllten Rhetorik des vormaligen Präsidenten Jammeh (Humans Rights Watch, Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2017, Stand: 18.01.2018, S. 5). Zudem soll es nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes zuletzt im Jahr 2015 zu Verhaftungen aufgrund von Homosexualität gekommen sein, ohne dass es zu Verurteilungen gekommen sei (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Gambia vom 26.10.2017, Stand: Juli 2017, und Auskunft an Verwaltungsgericht Stuttgart zum Az.: A 1 K 8218/16 vom 21.08.2017). [...]
35 2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. [...]
37 b) [...] Eine konkrete Gefahr, dass der Kläger im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in Gambia Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen werden könnte, ist in Folge des oben Ausgeführten nicht erkennbar. Insbesondere ist die Wahrscheinlichkeit, dass er nach dem Machtwechsel vom Dezember 2016 als Rückkehrer wegen seiner homosexuellen Beziehung in Untersuchungshaft genommen wird, deren Bedingungen nach wie vor problematisch sind (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Gambia vom 26.10.2017, Stand: Juli 2017), gering. [...]
41 3. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG liegen nicht vor.
42 Wie im angefochtenen Bescheid – auf den insoweit Bezug genommen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG) dargestellt, ist die wirtschaftliche Lage weiter Teile der Bevölkerung in Gambia sehr schlecht. Dennoch wird der gesunde und arbeitsfähige Kläger, der Gambia nach eigenen Angaben im August 2014 verlassen hat, also bis zu seinem ca. 16. Lebensjahr dort lebte, nach Überzeugung des Gerichts jedenfalls das erforderliche Existenzminimum erwirtschaften können. [...]