Flüchtlingsschutz für homosexuelle Männer aus Ghana:
"1. Homosexuelle unterliegen in Ghana der nichtstaatlichen (Gruppen-) Verfolgung.
2. Männliche Homosexualität ist in Ghana strafbar.
3. Der ghanaische Staat ist nicht schutzbereit hinsichtlich auf Homosexuelle seitens der Bevölkerung verübter Übergriffe."
(Amtliche Leitsätze; diese und weitere Entscheidungen zu LSBTI-Personen sind auch zu finden in der Rechtsprechungssammlung des LSVD)
[...]
Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1, Abs. 4, § 3b Abs. 1 Nr. 4, 2. Halbsatz, § 3c Nr. 3 AsylG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG. Als Homosexueller ist er in Ghana der Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt (1. a)), ohne dass der ghanaische Staat willens ist, Schutz vor dieser nichtstaatlichen Verfolgung zu bieten (1. b)). [...]
Dem Kläger droht im Falle einer Rückkehr nach Ghana aufgrund seiner Homosexualität mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nichtstaatliche Verfolgung. Homosexuelle stellen eine "bestimmte soziale Gruppe" im Sinne der § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3 b Abs. 1 Nr. 4, 2. HS AsylG dar. Nach dieser Regelung gilt als bestimmte soziale Gruppe auch eine Gruppe, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet.
Sowohl aus den Medien als auch aus amtlichen Berichten bzw. Berichten von Hilfsorganisationen ergibt sich, dass homosexuelle Handlungen in Ghana so stark von der Gesellschaft und von der Politik missbilligt werden, dass es immer wieder zu gewalttätigen Angriffen auf Homosexuelle durch die Bevölkerung kommt und die ghanaischen Sicherheitskräfte nicht schutzwillig und aufgrund der Strafbarkeit männlicher Homosexualität in Ghana auch nicht schutzbereit sind.
Deutlich demonstrierte dies in rechtserheblichem Umfang schon der Regionalminister ..., der im Jahre 2011 die Sicherheitsbehörden angewiesen hatte, alle Schwule und Lesben festzunehmen, "um diese Leute aus der Gesellschaft zu beseitigen".
Diese feindliche Grundhaltung der Regierung Ghanas gegenüber Schwulen und Lesben spiegelt auch der Bericht des Auswärtigen Amtes vom 15. Februar 2017 im Hinblick auf die Einstufung der Republik Ghana als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylVfG wieder. [...]
Auch dem aktuellen Bericht von Amnesty International hinsichtlich Ghana ist zu entnehmen, dass einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen Männern immer noch strafbar sind. Örtliche Organisationen hätten davon berichtet, dass LGBTI Personen weiterhin sowohl einer Schikanierung durch die Polizei als auch Diskriminierung, Gewalt und Erpressung durch die übrige Bevölkerung ausgesetzt gewesen seien (Amnesty International Report 2016/17 – The State of the World´s Human Rights – Ghana). [...]
In dem Bericht "Human Rights Violations Against Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender (LGBT) People in Ghana: A Shadow Report" werden unter anderem von der Bevölkerung gegen Homosexuelle verübte Gewalttaten und Diskriminierungen ausführlich dargestellt (vgl. Human Rights Violations Against Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender (LGBT) People in Ghana: A Shadow Report, May 2016, submitted for consideration at the 117th Session of te Human Rights Committee Geneva, June-July 2016, S. 4 ff.).
Berichtet wird unter anderem von Vorfällen, in denen Homosexuelle ausgezogen, geschlagen und gedemütigt wurden, in denen ihnen kochendes Wasser ins Gesicht geschüttet oder in denen sie mit Steinen und Fäkalien beworfen wurden.Von solchen, in vorstehendem Bericht vielfach beschriebenen Gewalttaten berichten auch die deutschen Medien. [...]
Vor dem Hintergrund der seit der Einstufung Ghanas als sicherer Herkunftsstaat im Jahre 1993 aufgekommenen, nunmehr asylrelevanten Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung hatte die Partei "Bündnis 90/Die Grünen" bereits im Jahr 2015 im Bundestag eine Überprüfung der Einstufung Ghanas als sicherer Herkunftsstaat gefordert (vgl. Bericht der TAZ vom 18. August 2016, abrufbar unter http://www.taz.de/5326033/).www.taz.de/5326033/).
Angesichts der vorstehend umfassend dargestellten Tatsachenlage steht es zur Überzeugung des Gerichts fest,dass dem Kläger in Ghana aufgrund seiner Homosexualität mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nichtstaatliche Verfolgung droht. [...]
Männliche Homosexualität ist gemäß Section 104 ("Unnatural Carnal Knowledge") des ghanaischen Criminal Code, 1960 (Act 29), ein Vergehen, das gemäß Art. 296 Abs. 4 des Criminal Procedural Code mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft wird. Unabhängig von der allein im Rahmen des § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG maßgeblichen Frage, ob diese Freiheitsstrafe tatsächlich verhängt wird, finden aufgrund der allgemeinen homophoben Grundstimmung in Politik und Bevölkerung – wie oben dargestellt – in nicht unerheblichem Umfang Diskriminierungen und gewalttätige körperliche Angriffe auf Homosexuelle von Seiten der (nichtstaatlichen) Bevölkerung statt, die als Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG anzusehen sind. Wie ebenfalls dargestellt, ist der ghanaische Staat in zweifacher Hinsicht nicht schutzbereit im Sinne der § 3c Nr. 3, § 3d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AsylG. Einerseits werden – vor dem Hintergrund, dass Homosexualität sowohl von Seiten der Bevölkerung als auch politisch unerwünscht ist – Übergriffe auf Homosexuelle staatlicherseits schon gar nicht angemessen aufgeklärt und verfolgt. Die Täter homophober Übergriffe werden somit regelmäßig nicht der Strafverfolgung zugeführt. Vielmehr werden Homosexuelle, die eine gegen sie verübte Straftat anzeigen, von den Sicherheitsbehörden ihrerseits gedemütigt, bedroht und erpresst. Die Verfolgung Homosexueller durch die Bevölkerung wird somit letztlich nicht nur staatlich gebilligt, sondern von der Politik teilweise auch forciert. [...]