VG Cottbus

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Zitieren als:
VG Cottbus, Urteil vom 14.03.2018 - 5 K 1750/15 A - asyl.net: M27850
https://www.asyl.net/rsdb/M27850
Leitsatz:

Kein Schutz für lesbische Frau aus Kenia:

1. Zwar gibt es in Kenia strafrechtliche Vorschriften gegen homosexuelle Handlungen, jedoch werden diese nur sporadisch angewandt. Auch geht die Polizei nicht gezielt gegen Homosexuelle vor.

2. Die kenianische Zivilgesellschaft betrachtet Homosexualität zwar aus kulturellen und religiösen Gründen kritisch. Ablehnung, Ausgrenzung und Diskriminierung erreichen jedoch nicht das für eine asylrelevante Verfolgung oder ernsthafte Schädigung erforderliche Gewicht. Die kenianische Gesellschaft ist gegenüber Homosexuellen toleranter als die in anderen afrikanischen Ländern.

3. Als interne Schutzalternative kommt Nairobi in Betracht.

(Leitsätze der Redaktion; diese und weitere Entscheidungen zu LSBTI-Personen sind auch zu finden in der Rechtsprechungssammlung des LSVD)

Schlagwörter: Kenia, homosexuell, lesbisch, Strafbarkeit, interner Schutz, Frau, LGBT, LGBTI, interne Fluchtalternative, Diskriminierung,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 4, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 2 S. 1, AufenthG § 11,
Auszüge:

[...]

Es lässt sich nicht feststellen, dass der Klägerin wegen ihrer homosexuellen Orientierung in Kenia landesweit eine Verfolgung, ernsthafte Schädigung oder Gefahrenlage im Sinn nationaler Abschiebungsverbote mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit ("real risk", vgl. zu diesem Maßstab BayVGH, Beschluss vom 17. Januar 2017 - 13a ZB 16.30182 - juris unter eingehender Darstellung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts) droht.

Zwar stellt das kenianische Strafrecht homosexuelle Handlungen - jedenfalls zwischen Männern - unter Strafe (§§ 162-165 Kenyan Penal Code). Jedoch werden die Strafvorschriften in der Praxis entweder gar nicht (Auswärtiges Amt, Kenia: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand 4. Juli 2016) oder nur sporadisch (Human Rights Watch, World Report 2015, Kenya) angewandt, wobei etwa nach Erkenntnissen des amerikanischen Außenministeriums (USDOS, Country Report on Human Rights Practices 2015, Section 6) im Zeitraum zwischen 2010 und 2014 landesweit in 595 Fällen "Akten angelegt" wurden, es jedoch zwischen 2012 und 2014 nur zu insgesamt 8 Anklagen gekommen ist, wobei in diesen Zahlen zudem auch Fälle allgemeiner Kriminalität (Vergewaltigung) enthalten sind. [...]

Soweit (etwa USDOS a.a.O.; HRW a.a.O., S. 31 ff.; Astraea, Kenya, LGBTI Landscape Analysis 2015; S. 7 f.) von (Exzess-)Handlungen der Polizei gegen Homosexuelle berichtet wird, in deren Zuge es zu Inhaftierungen, Einschüchterungen und auch Vergewaltigungen gekommen ist, fehlt hinreichend belastbares Zahlenmaterial, um insoweit eine hinreichende Gefahrendichte feststellen zu können. [...]

Zudem ist die Rolle der kenianischen Polizei auch durchaus ambivalent, da sie keineswegs nur als Verfolger auftritt, sondern sich auch schützend vor Homosexuelle stellt (HRW a.a.O., S. 2,3,31). Eine generelle und gezielte Verfolgung durch die kenianische Polizei findet nicht statt (Home Office, a.a.O., Ziffer 2.3.8). [...]

Der Klägerin drohen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch keine hier relevanten Übergriffe von Seiten der kenianischen Zivilgesellschaft. Zwar wird Homosexualität in Kenia aus kulturellen und religiösen Gründen kritisch betrachtet. [...] Andererseits lehnt eine Mehrheit eine Strafbarkeit von Homosexualität ab und geben 46% an, dass es ihnen nichts ausmache, Homosexuelle zum Nachbarn zu haben (ILGA-RIWI 2016, zitiert nach Home Office a.a.O., Ziffer 6.1.1). [...] Die Ablehnung, Ausgrenzung und Diskriminierung, die Homosexuelle in Kenia gleichwohl von Seiten der Zivilgesellschaft erfahren, erreicht generell nicht das für eine Verfolgung oder ernsthafte Schädigung erforderliche Gewicht (Home Office a.a.O., Ziffer 2.3.14). [...]

Nach alldem werden Homosexuelle auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als Gruppe verfolgt oder ernsthaft geschädigt, da dies eine so hohe Gefahrendichte voraussetzt, dass - anders als hier - für jeden Gruppenangehörigen die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht (vgl. zur Gruppenverfolgung im Einzelnen: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18. Juli 2006 - 1 C 15.05 - juris Rn. 20). [...]

Aber selbst wenn man nach alldem eine für eine unmittelbar bevorstehende Verfolgung bzw. -schädigung hinreichende Gefahrverdichtung bejahte, kann die Klägerin nach den obigen Ausführungen jedenfalls auf Nairobi als Ort internen Schutzes verwiesen werden, womit zugleich, soweit es um grundrechtliches Asyl geht, eine Vorverfolgung auch schon deshalb ausscheidet, weil sich die Klägerin bei ihrer Ausreise nicht in einer landesweit ausweglosen Lage befand. In Nairobi kann die Klägerin auch ihren Lebensunterhalt verdienen (Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Münster vom 3. April 2013). [...]