VG Regensburg

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Zitieren als:
VG Regensburg, Urteil vom 04.12.2018 - RN 14 K 17.34384 - asyl.net: M27875
https://www.asyl.net/rsdb/M27875
Leitsatz:

Zur Lage homosexueller Personen in Sierra Leone:

Zwar wird Homosexualität in Sierra Leone mehrheitlich gesellschaftlich abgelehnt, allerdings ist nicht ersichtlich, dass staatliche Behörden gegen Übergriffe von Privatpersonen keinen Schutz gewähren würden.

(Leitsätze der Redaktion; diese und weitere Entscheidungen zu LSBTI-Personen sind auch zu finden in der Rechtsprechungssammlung des LSVD)

Schlagwörter: Sierra Leone, homosexuell, interne Fluchtalternative, nichtstaatliche Verfolgung, LSBTI, Glaubwürdigkeit, Glaubhaftigkeit, sexuelle Orientierung,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 4, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7,
Auszüge:

[...]

14 1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. [...]

20 Homosexualität wird zwar in Sierra Leone von vielen Teilen der Bevölkerung abgelehnt und als Verstoß gegen traditionelle Normen und Werte betrachtet. Es gibt ein Gesetz aus der britischen Kolonialzeit, das formal nicht außer Kraft gesetzt wurde und männliche Homosexualität verbietet. Weibliche Homosexualität sei gesetzlich nicht untersagt. Laut diesem Gesetz aus dem Jahr 1861 ist bei Männern zehn Jahre Gefängnisstrafe für die Absicht einer unzüchtigen Handlung angesetzt. Das Gesetz wird jedoch in der Praxis nicht angewendet (vgl. Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes zu Sierra Leone vom 22. Juni 2018). Von dieser gesetzlichen Lage geht auch der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 7. November 2013, C-199, 200 und 201/12, aus. Nach Section 61 des Gesetzes von 1861 über Straftaten gegen die Person (Offences against the Person Act 1861) droht einer Person bei homosexuellen Handlungen eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren bis lebenslänglich. In dieser Entscheidung stellt der Europäische Gerichtshof aber klar, dass das bloße Bestehen von Rechtsvorschriften, nach denen homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, nicht als Maßnahme betrachtet werden kann, die einen Antragsteller in so erheblicher Weise beeinträchtigt, dass der Grad an Schwere erreicht wird, der erforderlich ist, um die Strafbarkeit als Verfolgung ansehen zu können. Erst die tatsächliche Verhängung einer derartigen Freiheitsstrafe stellt eine Verfolgungshandlung dar. Da nach den Ausführungen des Auswärtigen Amtes das Gesetz aus dem Jahre 1861 in Sierra Leone nicht angewendet und demnach auch keine Freiheitsstrafe bei homosexuellen Handlungen verhängt werden, kann aus dem Bestehen der Strafvorschrift keine Verfolgung als Mitglied einer sozialen Gruppe abgeleitet werden.

21 Handlungen von Privatpersonen, wie der Kläger sie als geschehen behauptet, gegenüber Homosexuellen stellen sich somit - je nach Art der Handlung - als kriminelles Unrecht oder als nicht strafbare Beschimpfung oder Belästigung dar. Dem Gericht liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass staatliche Behörden in Sierra Leone gegen derartige Handlungen keinen Schutz gewähren würden (zu vorstehendem genau so VG Regensburg, U.v. 2.2.2017 - RN 5 K 16.30089 - juris; bestätigt durch BayVGH, B.v. 23.11.2017 - 9 ZB 17.30302 - BeckRS 2017, 134621).

22 Unabhängig davon steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger nicht homosexuell veranlagt ist. Den Ausführungen des Klägers kann in seiner Gesamtheit nicht geglaubt werden, da er in allen wesentlichen Teilen auf der Hand liegend Unwahrheiten vorgetragen hat. [...]

29 Eine den genannten Anforderungen genügende Ausweichmöglichkeit würde der Kläger innerhalb Republik Sierra Leone, deren Staatsangehörigkeit er nach eigenem Bekunden besitzt, jedenfalls in der Hauptstadt Freetown vorfinden. Verfolgte Personen können in andere Landesteile umziehen. Sie sind dabei keinen besonderen Einschränkungen unterworfen. Angesichts der in Sierra Leone bestehenden infrastrukturellen Mängel ist nicht einmal ansatzweise erkennbar, wie etwaige Verfolger, soweit diese nach zwei Jahren nach den angeblich fluchtauslösenden Umständen überhaupt noch ein Interesse an einer Verfolgung des Klägers haben sollten, ihn auffinden können sollten, wenn der Kläger sich in Freetown oder anderen größeren Städten wie Bo, Kenema oder Makeni niederließe. [...]

31 2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. [...]

38 3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen nicht. [...]