VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Urteil vom 22.11.2018 - 8 K 6391/17.GI.A - asyl.net: M27877
https://www.asyl.net/rsdb/M27877
Leitsatz:

Subsidiärer Schutz für einen homosexuellen Somalier (kein Flüchtlingsschutz beantragt):

Homosexuelle Handlungen werden nach somalischem Gesetz mit Haftstrafen und nach der Scharia und dem Gewohnheitsrecht sogar mit dem Tode bestraft.

(Leitsätze der Redaktion; diese und weitere Entscheidungen zu LSBTI-Personen sind auch zu finden in der Rechtsprechungssammlung des LSVD)

Schlagwörter: Somalia, homosexuell, subsidiärer Schutz, Strafbarkeit, LSBTI, sexuelle Orientierung,
Normen: AsylG § 4,
Auszüge:

[...]

Der Kläger haben einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zuerkennung subsidiären Schutzes. Die diesem Anspruch entgegenstehende Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Bescheid vom 08.08.2017 ist rechtswidrig und deshalb aufzuheben (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO). [...]

Ausgehend von diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG aufgrund des individuellen Vorbringens des Klägers, dem Inhalt der beigezogenen Akten und der in das gerichtliche Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen vor. Zur Überzeugung des Gerichts droht dem Kläger aufgrund auf Grund seiner Homosexualität ein Schaden in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung.

Gleichgeschlechtlicher Verkehr wird nach § 409 des somalischen Strafgesetzbuchs mit Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren bestraft, die Schari'a und das Gewohnheitsrecht sehen hierfür sogar die Todesstrafe vor. Da das staatliche Rechtssystem nicht funktioniert, viele strafrechtliche Fragen durch Clan-Entscheidungen geregelt werden und die sexuelle Orientierung in Somalia als Tabu erachtet wird, liegen den Auskunft gebenden Stellen keine Erkenntnisse über die tatsächliche Verfolgungspraxis vor(AA, Lagebericht vom 07.03.2018; BFA vom 12.01.2018). Medienberichten zufolge sind Homosexuelle oder Männer, die dessen auch nur verdächtig sind, gesellschaftlicher Gewalt oder Diskriminierung bis hin zu Tötungen ausgesetzt sind (vgl. nur DW-online vom 10.01.2017 "Al Shabaab richtet homosexuelle Männer in Somalia hin"). Der Kläger berichtete, dass er über seine Recherchen über Facebook erfahren habe, dass erst letzte Woche ein 15-jähriger Mann erschlagen worden sei, weil er einem anderen Mann an den Po gefasst habe. Nur am Rande sei bemerkt, dass sich der Dolmetscher erschüttert zeigte, als er nach Schluss der mündlichen Verhandlung gegenüber der Einzelrichterin äußerte, selbst einen Bericht über den vom Kläger geschilderten Fall gesehen zu haben; während der Steinigung des Jungen habe das ganze Dorf dabei gestanden und dies toleriert. [...]