VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Urteil vom 09.04.2018 - 11 A 33/17 - asyl.net: M27880
https://www.asyl.net/rsdb/M27880
Leitsatz:

Kein Schutz für homosexuelle Person aus der Türkei:

1. Zwar sind Homosexuelle in der Türkei gesellschaftlich überwiegend nicht akzeptiert, allerdings sind homosexuelle Handlungen in der Türkei nicht strafbar, so dass eine Asylrelevanz nur dann bestehen kann, wenn eine konkrete Verfolgungsbedrohung vorliegt.

2. Die großen Metropolen Istanbul, Izmir und Ankara stellen eine interne Fluchtalternative dar, da dort für homosexuelle Menschen überwiegend ein freies und selbstbestimmtes Leben möglich ist.

(Leitsätze der Redaktion; diese und weitere Entscheidungen zu LSBTI-Personen sind auch zu finden in der Rechtsprechungssammlung des LSVD)

Schlagwörter: Türkei, homosexuell, LSBTI, interne Fluchtalternative, Diskriminierung, LGBTI, sexuelle Orientierung,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 4, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7,
Auszüge:

[...]

44 Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs.1 S.1 1. HS AsylG) weder einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (1.), die Zuerkennung subsidiären Schutzes (2.), die Feststellung von Abschiebungshindernissen (3.) noch auf die Neubescheidung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes (4.).

45 1.a. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG. [...]

55 Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die Frage der Achtung von fundamentalen Rechten der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersex-Personen (LGBTI) in der Türkei weiterhin von ernsthafter Sorge begleitet ist (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Türkei, letzte Kurzinformation eingefügt am 11.1.2018, Seite 94). Zwar umfasst das Diskriminierungsverbot in Art.10 der Verfassung nicht explizit die sexuelle Orientierung. Auch sind homosexuelle Handlungen im tStGB nicht eigens erfasst. Gleichwohl sind Homosexuelle in der Türkei gesellschaftlich überwiegend nicht akzeptiert (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand: Januar 2017, Seite 20,21).

56 Diese jedenfalls nicht strafbewehrte Situation allein ist aber nicht asylrelevant. Vielmehr muss darüber hinaus für den Kläger eine Verfolgungsbedrohung von beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehen. [...]

60 Die geschilderten Drohungen durch seine Familie und die damit begründete Furcht vor Verfolgung und Gewalttätigkeiten verlieren deshalb an Gewicht, weil seit seiner behaupteten Verstoßung im Jahr 2004, dem Zeitpunkt von dem er vorgibt, zum Problemfall für seine Familie geworden zu sein, keine Übergriffe auf seine Person erfolgt sind. Die beiden Entlobungen müssten nach den Darlegungen des Klägers zudem ein weiteres Indiz und Ärgernis für seine Familie dargestellt haben. Gleichwohl kommt es in diesem Zusammenhang zu keinen familiären Ausschreitungen gegenüber dem Kläger. [...]

63 b. Darüber hinaus wird dem Ausländer gemäß § 3e Abs.1 AsylG die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).

64 So verhält es sich hier.

65 Wenngleich die gesellschaftliche der Lage der Homosexuellen in der Türkei grundsätzlich weiter angespannt ist, bilden die großen Metropolen Istanbul, Izmir und Ankara hiervon eine Ausnahme (Auswärtiges Amt, a.a.O.; Republik Österreich, a.a.O.). In diesen Städten ist für homosexuelle Menschen überwiegend ein freies und selbstbestimmtes Leben möglich.

66 Der Kläger kann sicher und legal – wie bereits in der Vergangenheit – in diese Städte reisen. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, aus welchen Gründen er hier nicht aufgenommen werden sollte und einer Arbeit nachgehen kann. Der Kläger hat auch in der Vergangenheit unterschiedliche Arbeitsstellen gehabt. Es steht deshalb zu erwarten, dass ihm seine Erfahrung und Flexibilität bei der Arbeitssuche zugutekommen werden. Dabei wird er sicherlich zudem auf die Unterstützung durch die Interessenvertretung für Homosexuelle zählen können. Der Kläger hat hierzu in seiner Anhörung selbst geschildert, dass er von dieser Vertretung auch schon vor seiner Ausreise Unterstützung erfahren hat.

67 2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes. [...]

74 3. Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes liegen für den Kläger ebenfalls nicht vor. [...]