OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 25.11.2019 - 13 ME 331/19 - asyl.net: M27895
https://www.asyl.net/rsdb/M27895
Leitsatz:

Kein Folgeantrag wenn im Erstverfahren die Zuerkennung subsidiären Schutzes nicht geprüft wurde:

Es liegt kein Folgeantrag bezüglich der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus vor, wenn dieser in dem vorigen Asylverfahren aufgrund der damaligen Rechtslage nicht geprüft wurde. Der Aufenthalt ist in diesem Fall gestattet. Eine Abschiebungsandrohung ist dann mangels Ausreisepflicht rechtswidrig.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Asylfolgeantrag, Unzulässigkeit, Zulässigkeit, subsidiärer Schutz, Änderung der Rechtslage, Aufenthaltsgestattung,
Normen: AsylG § 55 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 4 Abs. 1, AsylG § 71 Abs. 1, AsylG § 71 Abs. 5 S. 2,
Auszüge:

[...]

8 c. Dem Erlass der Abschiebungsandrohung steht derzeit aber entgegen, dass der Aufenthalt des Antragstellers gemäß § 55 Abs. 1 AsylG gestattet ist und infolgedessen die Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG entfällt, die eine wesentliche Voraussetzung für den Erlass und die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung ist.

9 (1) Der Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet ist derzeit gemäß § 55 Abs. 1 AsylG gestattet.

10 Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet ab Ausstellung des Ankunftsnachweises gemäß § 63a Abs. 1 AsylG gestattet (Aufenthaltsgestattung). In den Fällen, in denen kein Ankunftsnachweis ausgestellt wird, entsteht die Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylG mit der Stellung des Asylantrags. Ob ein Schutzbegehren im Sinne dieser Bestimmungen vorliegt (vgl. zur Abgrenzung zwischen Asylgesuch und Asylantrag im Einzelnen: Senatsbeschl. v. 19.9.2018 - 13 ME 355/18 -, juris Rn. 6 m.w.N.), ist anhand des Maßstabs des § 13 AsylG zu überprüfen (vgl. Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 55 Rn. 5). [...]

13 Hier hat der Antragsteller einen Asylantrag im Sinne des § 13 Abs. 1 AsylG gestellt. [...]

14 Dieser Asylantrag stellt sich, soweit er auf die Anerkennung als Asylberechtigter sowie die Gewährung von Schutz vor Verfolgung nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge gerichtet ist, als Folgeantrag im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylG dar. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat mit dem bestandskräftigen Bescheid vom 6. Februar 1997 (Blatt 15 der Verwaltungsvorgänge) bereits einen vorausgegangenen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt und festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, an dessen Stelle die §§ 3ff. AsylG getreten sind, nicht vorliegen. Ein auch hierauf bezogener Folgeantrag wurde mit bestandskräftigem Bescheid vom 8. März 2001 (Blatt 84 der Verwaltungsvorgänge) abgelehnt. Der insoweit gegebene Folgeantrag führt nur zur vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung kraft Gesetzes nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG (vgl. Senatsbeschl. v. 26.2.2018 - 13 ME 438/17 -, juris Rn. 19 ff.), löst - bis zur Einleitung eines weiteren Asylverfahrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - die Aufenthaltsgestattung des § 55 Abs. 1 AsylG aber nicht aus (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, AsylG, § 55 Rn. 10; Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 71 Rn. 109 f. jeweils m.w.N.).

15 Im Übrigen, also soweit der Antrag auf die Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 AsylG gerichtet ist, liegt hingegen kein solcher Folgeantrag vor. Denn die vorausgegangenen durch die Bescheide des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 6. Februar 1997 (Blatt 15 der Verwaltungsvorgänge) und vom 8. März 2001 (Blatt 84 der Verwaltungsvorgänge) beendeten Verfahren und auch die Behandlung des isolierten Folgeschutzgesuchs im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19. Juli 2019 (Blatt 409 der Verwaltungsvorgänge) beziehen sich nicht auf die Gewährung des unionsrechtlichen subsidiären Schutzes (vgl. VG Hamburg, Beschl. v. 14.7.2016 - 1 AE 2790/16 -, juris Rn. 10 ff.; und zu der ähnlichen Konstellation einer Einstellung des Asylverfahrens nach §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG a.F. vor Inkrafttreten der Änderung des Asylverfahrensgesetzes zum 1.12.2013: BVerwG, Urt. v. 13.2.2014 - BVerwG 10 C 6.13 -, juris Rn. 12). Der auf die Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 AsylG gerichtete Antrag ist daher kein weiterer Antrag, der nach Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren inhaltsgleichen Antrag gestellt wurde, mithin kein Folgeantrag. Diese differenzierende Betrachtung nach dem jeweiligen Antragsbegehren begegnet angesichts der Eigenständigkeit der Streitgegenstände der Anerkennung als Asylberechtigter, der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, der Zuerkennung subsidiären Schutzes und auch der Feststellung der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 19.4.2018 - BVerwG 1 C 29.17 -, juris Rn. 44 f. m.w.N.) keinen grundsätzlichen Bedenken. Ob etwas Anderes ausnahmsweise dann gilt, wenn sich - in dem durch § 13 Abs. 2 AsylG gezogenen Rahmen - die getrennte Beantragung von zunächst nur internationalem Schutz und erst nachfolgend der Anerkennung als Asylberechtigter als missbräuchlich mit dem Ziel der erneuten Erlangung einer Aufenthaltsgestattung herausstellt, bedarf hier keiner Entscheidung, da ein solcher Sachverhalt ersichtlich nicht gegeben ist. Der danach gegebene Erstantrag löst nach der dargestellten Systematik der §§ 55 Abs. 1 und 13 Abs. 1 und 2 AsylG die Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylG aus.

16 (2) Aufgrund der Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG verfügt der Antragsteller derzeit über ein gesetzliches Aufenthaltsrecht (vgl. Senatsbeschl. v. 11.9.2018 - 13 ME 392/18 -, juris Rn. 4; Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 55 Rn. 8). Dieses Aufenthaltsrecht ist zwar kein Aufenthaltstitel im Sinne des § 4 Abs. 1 AufenthG (vgl. Senatsurt. v. 13.11.2013 - 13 LC 197/11 -, juris Rn. 33 ff.; Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 55 Rn. 3). Als gesetzliches Aufenthaltsrecht vermittelt es aber einen rechtmäßigen Aufenthalt (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.12.2015 - BVerwG 1 C 31.14 -, BVerwGE 153, 353, 358 - juris Rn. 17) und lässt es die - hier durch die für sofort vollziehbar erklärte Ausweisung des Antragstellers gemäß §§ 51 Abs. 1 Nr. 5, 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG entstandene - Ausreisepflicht wieder entfallen (vgl. OVG Bremen, Urt. v. 5.7.2019 - 2 B 98/18 -, juris Rn. 18; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 27.10.1998 - 13 S 457/96 -, juris Rn. 17; Funke-Kaiser in: GKAsylG, § 55 Rn. 33 und 53 (Stand: Oktober 2019)). Denn für kraft Gesetzes Aufenthaltsberechtigte ist ein Aufenthaltstitel nicht "erforderlich" im Sinne des § 50 Abs. 1 AufenthG (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 50 Rn. 12 und 16 (Stand: Oktober 2015)). Mangels Ausreisepflicht ist die Abschiebungsandrohung daher derzeit rechtswidrig. [...]