VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 08.11.2019 - 37 L 462.19 A - asyl.net: M27908
https://www.asyl.net/rsdb/M27908
Leitsatz:

Entbehrlichkeit der Zuständigkeitsbestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht:

"In Dublin-Reversed Verfahren (Asylverfahrens- und Familienzusammenführung in Deutschland) ist eine Gerichtszuständigkeitsbestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht in Verfahren des Eilrechtsschutzes regelmäßig entbehrlich."

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Familienzusammenführung, Verwaltungsgericht, örtliche Zuständigkeit, vorläufiger Rechtsschutz,
Normen: VwGO § 53 Abs. 1 Nr. 3, VwGO § 52, VwGO § 123 Abs. 1 S. 2
Auszüge:

[...]

10 1. a) Die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Berlin ist hinsichtlich aller Antragsteller gegeben. Es handelt sich um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz im Sinne des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO, auch wenn die Abgabe von Erklärungen zum Überstellungsverfahren nach der Dublin III-VO nicht im Asylgesetz selbst geregelt ist. Die Abgabe von Erklärungen in einem Überstellungsverfahren ist zwar genauso wie die Überstellung selbst nicht im Asylgesetz, sondern in der Dublin III-VO geregelt. Das unionsrechtliche Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats und die anschließende Überstellung stehen als denknotwendige Vorstufe aber in einem engen Zusammenhang mit dem im Asylgesetz geregelten Asylanerkennungsverfahren. Zudem enthält das Asylgesetz eine Verordnungsermächtigung zur (innerstaatlichen) Bestimmung der zuständigen Behörden in Dublin-Verfahren (§ 88 Abs. 1 AsylG; zu den Einzelheiten BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2019 – BVerwG 1 AV 2.19 - juris Rn. 5; vorher schon VG Berlin, Beschluss vom 17. Juni 2019 – VG 23 L 293.19 A – juris Rn. 6; Beschluss vom 18. April 2019 – VG 9 L 77.19 A, Beschluss vom 15. März 2019 – VG 23 L 706.18 A). Der Antrag ist auf die Familienzusammenführung und das Zusammenleben der Antragstellerin zu 1. mit den in Berlin lebenden Antragstellern zu 2. und 3. gerichtet, weshalb die Voraussetzungen des § 52 Nr. 2 Satz 3, 2. Halbsatz i. V. m. Nr. 3 Satz 2 VwGO gegeben sind (VG Berlin, Beschlüsse vom 17. Juni 2019, 18. April 2019 und 15. März 2019).

11 Selbst wenn hinsichtlich der Antragstellerin zu 1. eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach nach § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 2, Nr. 3 Satz 3, Nr. 5 VwGO wegen des Sitzes des Bundesamtes in Nürnberg in Betracht kommt, wird sowohl von einer Abtrennung und Verweisung an das Verwaltungsgericht Ansbach, als auch von einer Vorlage des Verfahrens zum Bundesverwaltungsgericht zu einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO abgesehen. Der Antragstellerin zu 1. droht nämlich bei einer Sachentscheidung der griechischen Asylbehörden über ihren Antrag auf internationalen Schutz der Verlust eines möglicherweise bestehenden Anspruchs auf Familienzusammenführung im Rahmen der Zuständigkeitsbestimmung nach Art. 9, 10 oder 17 Abs. 2 Dublin III-VO (vgl. Beschluss der Kammer vom 4. Juli 2019 – 37 L 277.19 A). Dieser subjektive Anspruch auf Einhaltung der die Familieneinheit bezweckenden Zuständigkeitsvorschriften endet in zeitlicher Hinsicht spätestens mit der ersten Sachentscheidung der griechischen Behörden, wie sich aus der gegenüber den anderen Zuständigkeitskriterien unbefristet anwendbaren humanitären Klausel des Art. 17 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO ergibt (i. E. ebenso wie hier VG Berlin, Beschluss vom 17. Juni 2019, a.a.O. Rn. 6 und VG Wiesbaden, Beschluss vom 25. April 2019 – 4 L 478/19.WI-A). Dieser Rechtsverlust ist empfindlich, denn er wird mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer länger andauernden Trennung der Antragstellerin zu 1. von ihrem Mann und dem minderjährigen Sohn führen. Hierfür sprechen zum einen die langen Laufzeiten in Asylverfahren, bis zu deren positivem Abschluss ein aufenthaltsrechtlicher Anspruch auf Familiennachzug zumeist ausgeschlossen ist, vgl. § 10 Abs. 1, § 29 Abs. 1 AufenthG. Dem folgt das Visumsverfahren, das auch geraume Zeit in Anspruch nehmen kann. Diesem drohenden Eingriff in den Schutzbereich der Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK, die den Schutz des Familienlebens bezwecken, lässt sich nur durch eine rasche Entscheidung eines Gerichts begegnen, dem die Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts entgegenstünde.

12 Hinzu kommt, dass nach dem vorliegenden Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Juli 2019 in der vorliegenden Konstellation regelmäßig allein dasjenige Verwaltungsgericht als örtlich zuständig bestimmt werden würde, das bereits für das Asylverfahren des in Deutschland lebenden Familienmitglieds zuständig ist. Im vorliegenden Fall ist es das angerufene Gericht. Dort wird nämlich die Prozessführung durch die Außenstelle des Bundesamtes Berlin, die bereits mit dem Asylverfahren der Antragsteller zu 2. und 3. betraut ist, im Falle einer Familienzusammenführung auch das Asylverfahren der Antragstellerin zu 1. durchführen. [...]