VG Cottbus

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Zitieren als:
VG Cottbus, Beschluss vom 09.12.2019 - 5 L 340/19.A - asyl.net: M27974
https://www.asyl.net/rsdb/M27974
Leitsatz:

Kein Schutz für HIV-positive Frau aus Südafrika bei familiärer Verfolgung:

"[Die] Republik Südafrika ist bereit und im Stande, gegen Zwangsheirat zu schützen.

[Die] Republik Südafrika gewährleistet angemessene medizinische Versorgung bei HIV."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Südafrika, Republik Südafrika, HIV/AIDS, Zwangsehe, offensichtlich unbegründet, medizinische Versorgung, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, interne Fluchtalternative, nichtstaatliche Verfolgung,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3e, AsylG § 3c Nr. 3, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7, AsylG § 36 Abs. 4 S. 1,
Auszüge:

[...]

8 Ernstliche Zweifel an dem Offensichtlichkeitsverdikt des Bundesamtes bestehen nicht. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes liegen offensichtlich nicht vor. Gleiches gilt für die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.

9 Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheitert bereits daran, dass die Urheber der geltend gemachten Verfolgung, Verwandte der Antragstellerin, keine Verfolger i.S.d. § 3c AsylG sein können. Diese Verwandten sind weder der Staat selbst (§ 3c Nr. 1 AsylG) noch eine Partei oder Organisation, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrscht (§ 3c Nr. 2 AsylG), so dass sie allenfalls als nichtstaatliche Akteure i.S.d. § 3c Nr. 3 AsylG begriffen werden könnten. § 3c Nr. 3 AsylG setzt aber voraus, dass der Staat oder Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten. [...] Eine derartige Schutzversagung kann für Südafrika schon nicht als erwiesen angenommen werden, vielmehr steht das Gegenteil fest. Die Praxis der Zwangsheirat steht dort seit 2016 unter Strafe. Die Strafbewehrung wurde begleitet von einer Kampagne der südafrikanischen Staatsanwaltschaft und der dortigen Polizei gegen die Zwangsheirat (vgl. golegal.co.za/forced-marriageukuthwala-criminal Quelle zit. im Bescheid S. 8). Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die staatsanwaltschaftliche oder polizeiliche Bekämpfung der Zwangsheirat bestimmte Personengruppen unberücksichtigt lässt, sie sich also nicht ohne Ansehen der Person vollzieht. Vielmehr berichtet die Antragstellerin selbst, dass ihre Anzeige bei der Polizei zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens geführt hat. Dem steht nicht entgegen, dass die Polizei erklärt haben soll, sie nur vor Angriffen in Johannesburg schützen zu können, gegen die Familie der Antragstellerin, die ca. 500 km von Johannesburg wohne, aber keine Handhabe zu besitzen. Die Schutzbereitschaft durch die Polizei vor Ort wird damit nicht widerlegt, sondern im Rahmen ihrer örtlichen Zuständigkeit bestätigt. [...]

10 Unabhängig vom Vorstehenden scheidet Flüchtlingsschutz auch deshalb aus, weil sich der Antragstellerin interner Schutz nach § 3e AsylG in Südafrika bietet. Für ihre 500 km von Johannesburg lebende Familie ist sie nach einem Umzug in andere Landesteile, etwa in eine andere südafrikanische Großstadt wie Capetown, Durban oder Pretoria, praktisch nicht auffindbar. In Südafrika gibt es kein wie in Deutschland übliches polizeiliches Meldewesen. Alle Anschriften- und Personensuchen sind deshalb sehr schwierig und in vielen Fällen, wenn keine weiteren Angaben vorliegen, sogar unmöglich. Die südafrikanischen Behörden erteilen über Anschriften und Aufenthalte keine Auskünfte an Dritte (Auswärtiges Amt: "Suche nach Personen oder Adressen in Südafrika" unter: southafrica.diplo.de). Es kann von ihr auch vernünftigerweise erwartet werden, dass sie sich in einer anderen Großstadt zusammen mit ihrem Sohn, dem Antragsteller im Verfahren 5 L 257/19.A, niederlässt. Insbesondere stünde dann zu erwarten, dass sie durch eigene Arbeit für sich und ihren Sohn auf vergleichbarem Niveau ein Auskommen finden würde, wie vor ihrer Ausreise. Angesichts ihrer weit überdurchschnittlichen Qualifikation (Abitur und zwei Hochschulabschlüsse in den Fächern Sicherheitsmanagement und Informatik) hat die Antragstellerin gute Chancen einen gut bezahlten Arbeitsplatz zu erhalten. Denn berufliche Bildung ist ein Schlüsselfaktor auf dem südafrikanischen Arbeitsmarkt (DW: Südafrikas Kampf um Wachstum und Jobs vom 2. 6. 2018), wobei gerade in der Informatikbrache Arbeitskräfte gesucht werden (vgl. Arbeiten in Südafrika – Auslandsjob.de). [...]

12 Schließlich liegen Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG, insbesondere wegen der HIV-Infektion der Antragstellerin, offensichtlich nicht vor. Für die Rückkehrprognose ist zu Grunde zu legen, dass die Antragstellerin zusammen mit ihrem minderjährigen Sohn, dem Antragsteller im Verfahren 5 L 257/19.A, zurückkehrt (vgl. BVerwG, Urteil vom 04. Juli 2019 – 1 C 45.18 – Asylmagazin 2019, 311-312). [...] Diese Voraussetzungen liegen hier offensichtlich nicht vor. Die Antragstellerin ist unbeschadet ihrer HIV-Infektion beschwerdefrei, weshalb die Infektion zufällig im Zuge der vorgeburtlichen Untersuchungen entdeckt wurde. Sie selbst bezeichnet sich als im Allgemeinen gesund. Auch das ärztliche Attest vom 25. Juni 2019 erwähnt keinerlei Beschwerden. Es weist einzig darauf hin, dass lebenslange Therapiebedürftigkeit bestehe, um künftig opportunistische Infektionen (AIDS-definierte Erkrankungen) zu verhindern. [...] Unbeschadet der Frage, ob die unbehandelte HIV-Infektion im Falle der Antragstellerin in absehbarer Zeit einen schweren, zu AIDS führenden Verlauf nehmen würde, ist offensichtlich auszuschließen, dass die Antragstellerin auf die indizierte Therapie in Südafrika verzichten müsste. Die südafrikanische Regierung hat das weltweit größte Programm zur Bekämpfung von HIV aufgelegt. Seit 2004 stellt der Staat allen Betroffenen kostenlos HIV-Medikamente zur Verfügung. Zur Entlastung des Gesundheitssystems wird etwa Atroiza (eine Kombination von Mitteln, die das Virus zurückdrängt und den Patienten bei regelmäßiger Einnahme ein weitgehend normales Leben ermöglichen kann) über eine Automatenapotheke abgegeben (Zeit Online: "Wenn HIV-Mittel abholen so leicht ist wie Geld abheben" vom 10. Januar 2019). Für Behandlung und regelmäßige Überwachung (etwa der Laborparameter) stehen öffentliche Fachkliniken bereit (Zeit Online: "Wenn HIV-Mittel abholen so leicht ist wie Geld abheben" vom 10. Januar 2019). Regional gelingt es durch regelmäßige Medikation das sog. 90-90-90 Ziel der Vereinten Nationen zu erreichen, d.h. 90% der Infizierten ist die Infektion bekannt, 90% nehmen die Medikamente und bei mehr als 90% ist der Virus nicht mehr nachweisbar (Deutschlandfunk: Südafrika – Erfolge im Kampf gegen HIV, Beitrag vom 16. Juni 2019). [...]

14 Nichts anderes gilt gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Insoweit müsste der Antragstellerin eine extreme allgemeine Gefahr drohen. Denn bei HIV-Infektionen handelt es sich in Südafrika um eine Volkskrankheit. Von 57,7 Mio. Einwohnern (Stand 2018) Südafrikas sind 7,5 Millionen, also 13% der Bevölkerung, mit HIV infiziert, womit Südafrika weltweit die meisten HIV-Infektionen aufweist (Zeit Online: "Wenn HIV-Mittel abholen so leicht ist wie Geld abheben" vom 10. Januar 2019). [...]