VG Cottbus

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Zitieren als:
VG Cottbus, Urteil vom 03.12.2019 - 5 K 692/18.A - asyl.net: M27978
https://www.asyl.net/rsdb/M27978
Leitsatz:

Keine Schutzzuerkennung wegen drohender Verfolgung durch Mungiki-Sekte:

1. Die Verfolgung durch die kriminelle Mungiki-Gruppe wegen Verlassens dieser Gruppe knüpft nicht an einen asylrelevanten Verfolgungsgrund an.

2. Auch die Zuerkennung von subsidiärem Schutz ist ausgeschlossen, da eine Tötung ohne Folter nicht unmenschlich oder erniedrigend ist. (Das Vorliegen einer drohenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch die Drohung, eine Person zu töten, bejahend z.B.: VG Trier, Urteil vom 16.10.2018 - 9 K 4662/17.TR - asyl.net: M26688)

3. Eine interne Fluchtalternative besteht in anderen Regionen Kenias, weil die Mungiki-Sekte nur in bestimmten Regionen (z.B. in Nairobi, Rift Valley und in Teilen der Zentralprovinz) aktiv ist und Personen, die keine herausgehobene Stellung innerhalb der Mungiki-Sekte hatten, nicht landesweit verfolgen wird.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Kenia, Mungiki, Flüchtlingsanerkennung, subsidiärer Schutz, interner Schutz, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Lebensgefahr,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 4 Abs. 1 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

14 Die Mungiki-Gruppe, die als Verfolger allein in Betracht kommt, gilt als kriminelle Vereinigung, die insbesondere durch Schutzgelderpressung, gewaltsame Einschüchterung und extralegale Tötungen in Erscheinung tritt (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Frankfurt (Oder) vom 30. April 2014; AI, Auskunft an dieses Gericht vom 12. Juli 2013, Ziffer 1.; GIGA, Auskunft an dieses Gericht vom 6. März 2013, Ziff. 1; Canada: Immigration and Refugee Board of Canada, Kenya: The Mungiki sect, 15. November 2013, Ziffer 1). Dass die Mungiki-Gruppe dem Kläger Gewalt antun will, nachdem er ihre Machenschaften bei der Polizei angezeigt und sich von der Gruppe gelöst hat, kann jenseits vernünftiger Zweifel nur darauf beruhen, dass die Gruppe den Kläger für sein von ihr als treu- und schwurwidrig empfundenes Verhalten bestrafen oder an ihm ein Exempel statuieren will, um potentielle Gruppenverweigerer abzuschrecken. Ein relevanter Verfolgungsgrund liegt darin nicht. Bestenfalls hypothetisch ist dagegen eine Annahme, dass die Mungiki-Gruppe den Kläger als religiösen Abweichler treffen will. Allein der Umstand, dass sich die Mungiki-Gruppe selbst als religiös-soziale und moralische Kulturbewegung versteht, reicht dafür nicht zu, zumal religiöse Fragen im Verhältnis des Klägers zu der Gruppe – soweit ersichtlich – niemals eine Rolle gespielt haben. Auch der Kläger selbst trägt nichts Anderes vor.

15 Knüpft aber eine Verfolgung an keinen Verfolgungsgrund im o.g. Sinn an, hat der Kläger auch keinen Anspruch darauf, als Asylberechtigter anerkannt zu werden, da das grundrechtliche Asyl insoweit inhaltsgleiche Voraussetzungen hat wie das Flüchtlingsschutzrecht.

16 Der Kläger läuft in Kenia auch nicht tatsächlich Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinn subsidiären Schutzes zu erleiden. Insbesondere fehlen hinreichende tatsächliche Anknüpfungspunkte dafür, dass die Mungiki-Gruppe den Kläger foltern oder unmenschlich oder erniedrigend behandeln wird. Sowohl bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung brachte der Kläger seine Angst davor zum Ausdruck, von der Gruppe umgebracht bzw. getötet zu werden. Eine "einfache" Tötung als solche stellt indes – ohne das Hinzutreten qualifizierender Einzelfallumstände – noch keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar. [...]

17 Aber selbst wenn man unterstellt, dass der Kläger tatsächlich Gefahr läuft, an seinem Heimatort (Nairobi) gefoltert oder unmenschlich oder erniedrigend behandeln zu werden, kann er auf internen Schutz verwiesen werden.

18 Nachweislich aktiv ist die Mungiki-Gruppe lediglich in Nairobi sowie in Teilen der Zentralprovinz und der Provinz Rift Valley (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 30. April 2013 an das VG Frankfurt (Oder); Amnesty International, Auskunft an das VG Frankfurt (Oder) vom 12. Juli 2013; GIGA, Auskunft an das VG Frankfurt vom 6. März 2013; Home Office, Kenya, COI Report, 22. Mai 2013, Ziff. 9.08 ff.). Erst Recht gibt es keine tragfähigen Hinweise dafür, dass die Mungiki-Gruppe über ein landesweites Informations- und Zugriffsnetz verfügt. Vielmehr gilt die Mungiki-Gruppe als zerschlagen (Auswärtiges Amt a.a.O.) bzw. zersplitterte und größtenteils ausgelöschte Organisation (Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 17. Juli 2018, S. 7), wobei gerade die letztgenannte Einschätzung des österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl den Anspruch hoher Aktualität genießt. Die gegenteilige Behauptung des GIGA-Instituts (a.a.O.), wonach eine landesweite Verfolgungsmacht bestehen soll, verbleibt in den Erkenntnismitteln singulär und entbehrt vor Allem jedes nachvollziehbaren Belegs.

19 Darüber hinaus ist Kenia ein Land ohne zentrales Melderegister und ohne Meldepflicht (Auswärtiges Amt, Auskunft an das BAMF vom 23. September 2010). Die Anonymität der Großstädte bietet – sofern gewünscht – Raum für Rückzug (Republik Österreich a.a.O., S. 25). Es besteht die Möglichkeit, sich in einer anderen Region des Landes, wo die eigene ethnische Gruppe dominiert, ohne Probleme niederzulassen (Republik Österreich a.a.O.). [...]

21 Dass indes der Kläger an einem Ort internen Schutzes nicht in der Lage sein wird, sein Existenzminimum zu sichern, lässt sich nicht feststellen. Trotz seiner o.g. Armut nimmt Kenia eine herausragende Stellung jedenfalls innerhalb Ost-Afrikas ein. Es besitzt die leistungsfähigste Volkswirtschaft in der East African Community (Republik Österreich, Staatendokumentation Kenia, a.a.O., S. 25; Bertelsmann Stiftung, Country Report 2016, Ziff. 6). Das Land gilt mit seinem robusten und kontinuierlichen Wirtschaftswachstum von 4-6 % als ökonomisches Kraftzentrum (GIZ, Länderinformationsportal, Oktober 2018). Der Kläger ist ein alleinstehender, gesunder und arbeitsfähiger Mann von 22 Jahren. Warum es ihm unter diesen Bedingungen nicht möglich sein soll, etwa in den Bereichen der Landwirtschaft, dem größten Wirtschaftszweig des Landes, oder der Dienstleistungsbranche eine jedenfalls noch existenzsichernde Beschäftigung zumindest als Tagelöhner zu finden, erschließt sich nicht. In Kenia können selbst Frauen, obgleich sie wegen ihres Geschlechts auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden und im Durchschnitt 1/3 weniger verdienen als Männer (United States Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2015, Section 7. d.), auch wenn sie bereits als Kind aus dem Land ausgereist sind und über keine Berufsausbildung verfügen, ihren Lebensunterhalt verdienen (Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Münster vom 3. April 2013). Erst recht gilt dies für den männlichen Kläger, der mit den Verhältnissen im Land vertraut ist. Zudem existiert in Kenia eine große Zahl an sozialen und Selbsthilfeorganisationen sowie an informellen Kooperativen (Republik Österreich a.a.O., S. 28). [...]