Schutzwürdiges Interesse an der rückwirkenden Erteilung einer Niederlassungserlaubnis:
1. Zum schutzwürdigen Interesse an der rückwirkenden Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, wenn hiervon der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch das Kind des Ausländers abhängt.
2. Generelle Aussagen darüber, was mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels in Bezug auf den Geltungszeitraum und eine etwaige Antragsablehnung für andere Zeiträume geregelt worden ist, sind nicht möglich. Der Regelungsgehalt ist durch Auslegung zu ermitteln. Bei der begründungslosen Erteilung eines Aufenthaltstitels kommt den Umständen der Antragstellung, auf die die Ausländerbehörde reagiert hat, für die Auslegung besondere Bedeutung zu.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
24 Dies setzt voraus, dass der Ausländer an der Erteilung eines Aufenthaltstitels für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum nach der Antragstellung ein schutzwürdiges Interesse hat. Das ist insbesondere der Fall, wenn die rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die weitere aufenthaltsrechtliche Stellung des Ausländers erheblich sein kann, und gilt unabhängig davon, ob der Aufenthaltstitel für einen späteren Zeitpunkt bereits erteilt worden ist oder nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.12.1995 - 1 C 31.93 -, NVwZ 1996, 1225; v. 15.7.1997 - 1 C 15.96 -, NVwZ 1998, 191; v. 29.9.1998 - 1 C 14.97 -, NVwZ 1999, 306; v. 9.6.2009 - 1 C 7.08 -, NVwZ 2009, 1431; v. 26.10.2010 - 1 C 19/09 -, NVwZ 2011, 236; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 24.7.2012 - 2 LB 278/11 -, juris Rn. 30). Außer der Beeinflussung der aufenthaltsrechtlichen Position des Ausländers ist ein schutzwürdiges Interesse in der Rechtsprechung anerkannt worden, wenn sich die rückwirkende Erteilung des Aufenthaltstitels günstig auf dessen Möglichkeit, eingebürgert zu werden, auswirken konnte (vgl. OVG Bremen, Urt. v. 18.6.2013 - 1 A 144/11 -, juris Rn. 36).
25 Ein schutzwürdiges Interesse des Klägers an der rückwirkenden Erteilung der Niederlassungserlaubnis ergibt sich zwar nicht aus einer Verbesserung seiner eigenen Rechtsposition (aa.), aber aus seinem Interesse an der Verbesserung der Rechtsposition seines Sohnes (bb.). [...]
27 bb. Die rückwirkende Erteilung der Niederlassungserlaubnis verhilft dem Sohn gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt. Hieraus ergibt sich ein schutzwürdiges Interesse des Klägers.
28 Das ideelle Interesse des Klägers, dem Sohn den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu ermöglichen, hat besonderes, die Schutzwürdigkeit begründendes Gewicht, weil die Erteilung der Niederlassungserlaubnis an ihn notwendige Erwerbsvoraussetzung ist. Dem Interesse steht auch nicht entgegen, dass der Kläger nicht allein sorgeberechtigt ist. Vielmehr haben beide Elternteile durch die gemeinschaftliche Vertretung des Sohnes bei der Erhebung der staatsangehörigkeitsrechtlichen Klage zum Ausdruck gebracht, dass sie wünschen, dass der Sohn die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt.
29 Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht ein schutzwürdiges Interesse eines Sohnes an der rückwirkenden Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an seinen Vater verneint. Der Vater habe sich in der Vergangenheit im Bundesgebiet aufgehalten. Auf dessen Interesse an der Verfestigung und Verselbständigung seines Aufenthaltsrechts, das hinter der rückwirkenden Geltendmachung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht, könne sich der Sohn nicht berufen. Denn seinem Interesse an der Aufrechterhaltung der Lebensgemeinschaft mit dem Vater im Bundesgebiet sei durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und Berücksichtigung der schutzwürdigen Bindungen gemäß Art. 6 GG und Art. 8 EMRK bei eventuellen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen Genüge getan (BVerwG, Beschl. v. 2.9.2010 - 1 B 18/10 -, AuAS 2010, 254).
30 Im Bereich des Aufenthaltsrechts besteht allerdings außer für den Familienangehörigen auch für den betroffenen Ausländer selbst die Möglichkeit, den begehrten Aufenthaltstitel zu beantragen und auf dessen Erteilung im eigenen Namen zu klagen. Der Sohn des Klägers kann den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit hingegen nicht unabhängig von der rückwirkenden Erteilung der Niederlassungserlaubnis an den Kläger herbeiführen. Vielmehr wird in der staatsangehörigkeitsrechtlichen Literatur die rückwirkende Erteilung der Niederlassungserlaubnis als der zutreffende Weg angesehen, um die Erfüllung der Voraussetzung des § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAG in Fällen nachzuweisen, in denen kein Elternteil im Zeitpunkt der Geburt ein unbefristetes Aufenthaltsrecht innehatte (vgl. Marx, in: GK-StAR, § 4 Rn. 331 ff. (Aug. 2009); Kau, in: Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Aufl. 2017, § 4 StAG Rn. 83; wohl auch Hessischer VGH, Beschl. v. 27.7.2007 - 7 UZ 1218/07 -, NvwZ-RR 2008, 108; vgl. zudem OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 15.5. 2012 - 19 E 700/11 -, juris Rn. 8 ff.). Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass schon das Bestehen eines Anspruchs auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels (ohne die rückwirkende Erteilung selbst) ausreichen könnte und im Rahmen des staatsangehörigkeitsrechtlichen Verfahrens geprüft würde. So hat auch das VG Hannover in dem staatsangehörigkeitsrechtlichen Verfahren 10 A 2619/12 darauf hingewiesen, dass sich die Frage stelle, ob der Kläger einen Antrag auf rückwirkende Erteilung der Niederlassungserlaubnis stellen werde, woraufhin der Kläger diesen Antrag gestellt hat und das staatsangehörigkeitsrechtliche Klageverfahren zum Ruhen gebracht wurde.
31 Überwiegendes spricht weiter dafür, dass es dem Sohn nicht möglich ist, in eigener Person den Erwerb der Staatsangehörigkeit dadurch herbeizuführen, dass er im eigenen Namen die rückwirkende Erteilung der Niederlassungserlaubnis an den Kläger beantragt oder dessen bei der Behörde gestellten Antrag im Wege einer von ihm selbst erhobenen Verpflichtungsklage weiterverfolgt. Denn das aus Art. 6 Abs. 1 GG folgende Interesse an der Aufrechterhaltung der familiären Lebensgemeinschaft bzw. des Umgangs dürfte es nicht erfordern, die Erteilung eines bestimmten Aufenthaltstitels erstreiten zu können, sondern dürfte auch dann gewahrt werden, wenn nur eine diesen Belangen nicht genügende Ablehnungsentscheidung angefochten werden kann (ausführlich VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 17.7.2015 - 11 S 164/15 -, InfAuslR 2015, 433 m.w.N. auch zur Gegenansicht). Dies muss nicht abschließend entschieden werden. Jedenfalls ist das Risiko des genannten Verfahrensweges unzumutbar groß. [...]