VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.01.2020 - 11 S 3282/19 - asyl.net: M28052
https://www.asyl.net/rsdb/M28052
Leitsatz:

Reiseausweis für subsidiär Schutzberechtigte:

"Zu den Voraussetzungen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Klage eines subsidiär Schutzberechtigten auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer."

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: subsidiärer Schutz, Passbeschaffung, Zumutbarkeit, Reiseausweis für Ausländer, Reiseausweis, Prozesskostenhilfe,
Normen: RL 2011/95/EU Art. 25, AufenthV § 5
Auszüge:

[...]

(2) Zum andern ist zumindest offen, ob der Ermessensspielraum, über den die Beklagte bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen grundsätzlich verfügt, vorliegend zugunsten der Klägerin ausnahmsweise so reduziert ist, dass die Erteilung des Reiseausweises die einzig mögliche ermessensfehlerfreie Entscheidung darstellt.

Dies könnte sich mit Blick auf den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) bereits daraus ergeben, dass die Allgemeine Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 in Ziffer 3.3.1.8 Satz 2 bestimmt: "Die Ausstellung soll im Allgemeinen nur versagt werden, wenn die Ausstellungsvoraussetzungen des § 5 AufenthV nicht erfüllt werden, wenn kein Ausstellungsgrund nach den §§ 6 und 7 gegeben ist oder wenn öffentliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland der Ausstellung entgegenstehen" (vgl. dazu OVG B.-Bbg., Beschluss vom 25.02.2017 - OVG 3 N 79.16 -, juris Rn. 3). Ob die Voraussetzungen des § 5 AufenthV erfüllt sind, ist, wie dargelegt, jedenfalls offen. Ferner dürfte jedenfalls der Ausstellungsgrund des § 6 Satz 1 Nr. 1 AufenthV erfüllt sein, weil die Klägerin über eine bis 8. Januar 2021 gültige Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 1 AufenthG verfügt. Öffentliche Interessen, die der Erteilung entgegenstehen könnten, sind nicht bekannt. Es sind daher keine Umstände ersichtlich, die eine Abweichung von der verwaltungsinternen Festlegung, die Ausstellung des Reiseausweises in Fällen wie dem vorliegenden "im Allgemeinen" nicht zu versagen, rechtfertigen könnten.

Darüber hinaus könnte das der Beklagten möglicherweise zukommende Ermessen dadurch reduziert sein, dass die Klägerin bestandskräftig als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt worden ist. In diesem Fall wird die Auslegung des § 5 Abs. 1 AufenthV durch Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) determiniert. Nach dieser Bestimmung stellen die Mitgliedstaaten Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist und die keinen nationalen Pass erhalten können, Dokumente für Reisen außerhalb ihres Hoheitsgebiets aus, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen. Diese Bestimmung scheint subsidiär Schutzberechtigten, die, wie voraussichtlich die Klägerin, keinen nationalen Pass erhalten können, einen Anspruch auf Aufstellung eines Reisedokuments ohne weitere tatbestandliche Voraussetzungen einzuräumen. Insbesondere enthält sie keinen Hinweis darauf, dass ein Reiseausweis nur dann zu erteilen sein könnte, wenn die Notwendigkeit einer Auslandsreise geltend gemacht werden kann. Damit scheint sich Art. 25 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie in der aktuellen Fassung deutlich von seiner Vorgängerbestimmung (Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG) abzuheben, wonach subsidiär Schutzberechtigten ein Reisedokument auszustellen war, "zumindest wenn schwerwiegende humanitäre Gründe ihre Anwesenheit in einem anderen Staat erfordern". Wäre Art. 25 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie in diesem Sinne zu verstehen, wofür vieles spricht, müsste dies bei der Ausübung des der Beklagten zukommenden Ermessens berücksichtigt werden, um die unionsrechtskonforme Anwendung des § 5 Abs. 1 AufenthV sicherzustellen (siehe dazu auch VG Köln, Urteil vom 04.12.2019 - 5 K 7317/18 -, juris Rn. 82 ff.). [...]